04.11.21 – Stahlwerkstoffe

From water to wire

Andritz Hydro mit Hauptsitz in Wien ist einer der weltweit führenden Anbieter von elektromechanischen Ausrüstungen und Dienstleistungen für Wasserkraftwerke. Bei der Entwicklung anspruchsvoller Stahlkonzepte, großen Bauteilabmessungen und hohen Stückgewichten setzt der Experte auf Dillinger.

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In größeren Dickenbereichen und bei thermomechanisch gewalztem Stahl fühlt sich Andritz Hydro bei Dillinger sicher aufgehoben. © Dillinger

 
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Herausforderungen beim Bau von Pumpspeicherwerken mit Durchmessern der Druckrohrleitungen von 5 m und mehr sind die benötigte Stahlgüte und die Wandstärke. © Dillinger

 
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Die Stärke von Pumpspeicherwerken ist, schnell auf Stromangebots- und -nachfrageschwankungen reagieren zu können. Mit geringen Betriebskosten und Risiken sichert die Technologie gleichermaßen hohe Verfügbarkeit, Kapazität und Flexibilität. Das garantiert Energiekonzernen die geforderte Netzstabilität und Schwarzstartfähigkeit bei plötzlichem Stromausfall.

Andritz Hydro ist einer der größten globalen Anbieter für hydraulische Stromerzeugung und gilt als Weltmarktführer im Bereich Rohrturbinen, Technologieführer bei Peltonturbinen und führend in Service und Modernisierung zur Leistungserhöhung bestehender Wasserkraftwerke. Das Portfolio umfasst das gesamte Spektrum an elektromechanischen Anlagen, Turbinen, Generatoren, Stahlwasserbau, Zusatzausrüstungen und Services für Wasserkraftwerke aller Typen und Größen – bis hin zu mehr als 800 MW Leistung je Turbineneinheit. 7000 Mitarbeiter, 25 weltweite Standorte in Europa, Asien, Nord- und Südamerika kennzeichnen die marktnahe Präsenz des Unternehmens. Über 500 Pumpspeicherwerke mit einer Gesamtleistung von 40 000 MW hat Andritz Hydro bis heute ausgerüstet.

Als Vice President Penstocks & Gates verantwortet Helmut Friedl weltweit den Bereich Stahlwasserbau für Wasserkraftwerke mit den Schwerpunkten Druckrohrleitungen, Panzerungen, Verteilrohrleitungen mit Abzweigern, Rechen, Schützen und zugehörige Ausrüstungen. Federführend war er zum Beispiel an Projekten in Nant de Drance (Schweiz) und Abdelmoumen (Marokko) beteiligt.

Stahlwasserbauprojekt der Superlative

Nachdem die Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal in Tirol den Beginn einer verstärkten Zusammenarbeit von Andritz Hydro und Dillinger markiert hatte, bewährte sich diese Zusammenarbeit ein weiteres Mal beim Ausbau des Pumpspeicherwerks Nant de Drance in den Walliser Alpen. Mit 900 MW installierter Leistung zählt dieses Wasserkraftwerk derzeit zu den leistungsstärksten in Europa. Sechs Francis-Turbinen mit jeweils 150 MW Leistung machen Nant de Drance hochflexibel: In weniger als fünf Minuten kann das Kraftwerk bei voller Leistung zwischen Pump- und Turbinenbetrieb wechseln. Mit einem Wirkungsgrad von über 80 % gilt es als Benchmark für die Speicherung von Strom. In einem geschlossenen Kreislauf nutzt es dafür den Höhenunterschied von zwei bestehenden Stauseen. Verbunden werden sie durch zwei parallele, vertikal verlaufende Triebwasserwege, die jeweils drei Pumpturbinen in einer riesigen Maschinenkaverne in 600 m Tiefe bedienen. Jeder dieser Triebwasserwege besteht aus einem 2 km langen Druckstollen und einem 425 m langen Vertikalschacht mit bis zu 7 m Durchmesser.

Der Auftrag an Andritz Hydro umfasste die Planung, Konstruktion, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme der gesamten Ausrüstung der beiden Triebwasserwege. Sie liegen wie die Kaverne im Berginneren und werden durch einen 5 km langen Tunnel erschlossen. Zu dem beauftragten Leistungspaket gehörten auch die Drosselklappenverschlüsse für die oberen Schieberkammern, die Rollschützenverschlüsse für die untere Schützenkammer sowie die Einlaufrechen für die Ein- und Auslaufbauwerke. Die großen Abmessungen der Anlagenteile, die auf sie einwirkenden Belastungen sowie die Arbeiten auf der Baustelle machten die Umsetzung zu einem höchst anspruchsvollen Stahlwasserbauprojekt. So mussten die Bauteile für den Triebwasserweg größtenteils vor Ort auf engem Raum in Kavernen vorgefertigt werden. Für die Panzerung der Vertikalschächte hatte der Kunde zudem vorgegeben, nur die oberen und unteren Krümmer mit Stahl auszukleiden und die weniger druckbelasteten Teile mit vorgespanntem Beton zu panzern. Bei der Wahl der hierfür eingesetzten Werkstoffe setzte Andritz Hydro erneut in großem Stil auf Qualitätsstähle von Dillinger. Insgesamt 3276 t Stahl in bis zu 130 mm Dicke lieferte der Grobblechspezialist für die Druckrohrleitung. „In den größeren Dickenbereichen und beim S355 ML haben wir uns einfach sicherer gefühlt mit den Materialien von Dillinger“, begründet Friedl die Entscheidung.

Vor der Kaverne teilen sich die Vertikalschächte in Abzweiger mit unterschiedlichen Durchmessern. Im oberen Bereich, wo die Drücke noch nicht so hoch sind, kamen die thermomechanisch gewalzten S355-Bleche von Dillinger zum Einsatz. Sie erlaubten das Schweißen mit größerer Streckenenergie. Für die Panzerung der Krümmer wählte Andritz Hydro Dillimax Markenstahl S690 QL1: Im oberen Abzweig wurden damit Wanddicken zwischen 29 und 90 mm ausgeführt. Im unteren Krümmer am Fuß des Vertikalschachts wurde dieser Stahl bei allen Abzweigelementen für eine bis zu 55 mm dicke Panzerung verwendet. Auch die Gehäuse der Schütze wurden aus diesem hochfesten vergüteten Stahl gefertigt. Für Bauteile mit besonderer Querzugbeanspruchung wie die Flansche im oberen Krümmer am Zugangsstollen und die innenliegenden Sichelbleche der Abzweiger wählte Andritz Hydro bis zu 130 mm dicke Grobbleche der Güte S690 QL1+Z35. Ende Mai 2020 erfolgte die Nassinbetriebnahme des Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance, indem die beiden Triebwasserwege erstmals befüllt wurden. Die vollständige Inbetriebnahme des Kraftwerks ist noch für dieses Jahr geplant.

Freiliegende Druckrohrleitung als Herausforderung

Für das neue Pumpspeicherwerk Abdelmoumen im Südwesten von Marokko, 70 km nordöstlich von Agadir, liefert Andritz Hydro die gesamte elektromechanische Ausrüstung: „Ein echtes From-Water-to-Wire-Package“, freut sich Friedl. Der Auftrag umfasst neben der Konstruktion, Fertigung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme von zwei reversiblen 175-MW-Pumpturbinen auch – gemeinsam mit dem Konsortialführer Vinci Construction – den Bau des technisch anspruchsvollen 3 km langen Triebwasserwegs. Die Pumpturbinen sind für 20 schnelle Betriebsartwechsel am Tag zur schnellen Reaktion und Netzregulierung ausgelegt. Der mit Stahl ausgekleidete Wasserweg besteht aus einer streckenweise freiliegenden, 2 km langen Druckrohrleitung, über 700 m Tunnel und drei Schächten mit über 60 m Tiefe.

Im Gegensatz zu Nant de Drance fertigt Andritz Hydro für das Kraftwerk Abdelmoumen alle Anlagenkomponenten auf der Baustelle. Die hohen Materialanforderungen an die eingesetzten Stähle sowie besondere Herausforderungen bei Fertigung und Montage sprachen erneut für Dillinger. Aber auch die schnelle Reaktion und Entwicklungskompetenz des Stahlherstellers in der Angebotsphase spielten bei der Lieferantenauswahl eine große Rolle. „Wir brauchen die Informationen manchmal sehr kurzfristig, da wir immer kürzere Zeit haben, um ein Angebot zu erstellen. Hier ist der Service von Dillinger sehr gut“, lobt Friedl. Unterstrichen wird dieser Service aus seiner Sicht durch die sicheren metallurgischen Vorhersagemodelle von Dillinger, um Kundenspezifikationen auf ihre Machbarkeit zu überprüfen. Auf Basis neuronaler Netze werden diese Modelle kontinuierlich trainiert, sodass die Saarländer bereits vor der Produktion eine zuverlässige Aussage zur Umsetzbarkeit der gewünschten Eigenschaften und Risikobewertung machen können.

Mit 9600 t Lieferumfang – neben S500 QL und S690 QL auch hochfester thermomechanischer Stahl S690 ML – deckte Dillinger den gesamten Stahlbedarf für das neue Pumpspeicherwerk in Marokko ab. „Wir waren durch den Service, der in Nant de Drance abgewickelt wurde, sehr zufrieden mit den Leistungen von Dillinger“, begründet Friedl die erneute Entscheidung für den Hersteller. Neben den lieferbaren Tafelgrößen zählte für Andritz Hydro dazu auch die Lieferfähigkeit: „Dillinger hatte in der Vergangenheit auch für hohe Qualitäten immer extrem gute Lieferzeiten und kann diese auch für große Mengen zusagen.“

Angesichts der Dimensionen der S690er-Güte, die für die freiliegende Druckrohrleitung und im Vertikalstollen in Dickenrichtung benötigt wurden, waren in Abdelmoumen die lieferbaren Stückgewichte erneut von besonderer Bedeutung. „Die Blechlänge richtet sich immer nach dem Durchmesser – hier bis zu 5 m. Größere Stückgewichte bedeuten gerade bei dicken Blechen weniger Längenlimitierung“, erläutert Friedl. „Dadurch ist auch bei den hier erforderlichen großen Durchmessern nur eine Längsnaht erforderlich.“

Für den freiliegenden Teil der Druckrohrleitung kamen – abgesehen vom oberen Bereich, wo 20 mm dicke Bleche verwendet wurden – 40 mm starke, thermomechanisch gewalzte Bleche zum Einsatz. Für den Abzweiger wählte Andritz Hydro 60 mm dickes Blech der Güte S690 QL, für das innenliegende Sichelblech in diesem Abzweiger sogar eine Stärke von 100 mm. Zusätzlich übernahm Dillinger bei diesem Projekt die gesamte Kantenanarbeitung sowie das Zuschneiden zur Herstellung von Formteilen wie Rohrbögen. Insbesondere für Stähle der Güte S690 entsteht bei diesen Fräskanten – anders als beim thermischen Schneiden – keine Aufhärtung. Dadurch werden die Materialeigenschaften nicht beeinflusst und das Risiko von Härterissen wird minimiert. Für Andritz Hydro entfiel daher fast vollständig das beim thermischen Schneiden notwendige händische Wegschleifen von bis zu 2 mm starken aufgehärteten Zonen. Neben den kürzeren Verarbeitungs- und Fertigungszeiten vereinfachten die von Dillinger gelieferten Fräskanten auch die Montage.

„Eine freiliegende Druckrohrleitung mit bis zu 4,80 m Durchmesser und mehreren Zugängen muss sich dem Gelände anpassen und ist deshalb viel schwieriger zu montieren als eine im Stollen“, sagt Friedl. Das in Marokko herrschende Klima erschwert dies zusätzlich, weil während der Montage die Einwirkung der Sonne berücksichtigt werden muss. Um die eingetragene Strahlungswärme zu kompensieren, setzte Andritz Hydro besondere Montagetechniken wie eine gezielte Vorverformung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Verformung im Anbau ein. Die Inbetriebnahme des neuen Pumpspeicherwerks Abdelmoumen ist für 2022 geplant.

AG der Dillinger Hüttenwerke
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