08.02.24 – Interview

„Energieberatung ist keine Raketenwissenschaft!“

Im Zusammenhang mit „Produktion“ hört man nun immer häufiger den Ruf nach der Berechnung/Dokumentation des CO2-Fußabdrucks. Die Situation erinnert dabei etwas an die Zeit der Einführung von Videorecordern: Da gab es VHS, Video 2000 und Betamax. Das ist bei der CO2-Software fast ähnlich: Man weiß noch nicht, was sich durchsetzt und welche Software was kann... Darüber hinaus ist der Ansatz, über eine Software zur Nachhaltigkeit zu gelangen, vielleicht auch der falsche. Was kann man im Betrieb also konkret tun? Was ist sinnvoll? Und ist das, was die Großkonzerne vorleben auch das, was für KMUs geeignet ist?

Ein Gespräch mit M.-Eng. Jörg Teichmöller, der als Unternehmensberater schon viele Betriebe bei Transformationsprozessen unterstützt hat, unter anderen auch bei Konstruktion, Fertigungsabläufen, Software...

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Jörg Teichmöller ist Unternehmensberater v.a. im technischen Bereich. Mit dem Thema CO2-Fußabdruck ist er immer häufiger konfrontiert. © Jürgen Biniasch

 

UM: Wie rechnet man CO2 aus? Geht das?

Teichmöller: Ja, das geht! Es existieren Umrechnungswerte, um generell Energien in CO2 auszudrücken. Beispiel: eine Kilowattstunde Strom sind 441,7 Gramm CO2, ein Liter Diesel sind 2.630,2 Gramm CO2. Hier hat man es häufig mit Modellen bzw. Mittelwerten zu tun. Natürlich gibt es Strom aus Wasser, aus Wind, aus Kohle und diese stoßen unterschiedliche Mengen an CO2 aus.

 

UM: Wie berechnet man die CO2-Einsparung?

Teichmöller: Im Prinzip wie bei der Umrechnung in CO2: Spare ich also 1000 Liter Heizöl oder Diesel im Jahr ein, dann sind das 2630 Kilogramm CO2-Ersparnis.

 

UM: Wie kann man den Footprint in der gesamten Wertschöpfungskette ermitteln und was braucht man dazu? Ich kann mir vorstellen, dass das für eine Prozesskette eines komplexen Produkts schwierig ist. Fängt man bei der Eisenerz-Mine an, bei der Verhüttung, beim Transport oder an dem Tor des eigenen Betriebes? Da kann man doch, um es spitz zu formulieren, ziellos herumrechnen?

Teichmöller: Wenn die Ökobilanz des Produktes bestimmt werden soll, muss man tatsächlich an der Eisenerz-Mine beginnen und diese bis zur Wiederverwertung betrachten!

Dies ist in der Tat sehr aufwändig, was auch der Grund ist, warum große Unternehmen von ihren Lieferanten eine Ökobilanz bzw. eine ISO 14001-Zertifizierung (Umweltmanagement, Anmerk. d. Red.), immer häufiger fordern. Damit geben sie den Ball an die Lieferanten und in die Lieferkette weiter, um dann nur noch die eigenen CO2-Beträge drauf rechnen zu müssen. Diese müssten die Daten in der Wertschöpfungskette normalerweise wieder an ihre Lieferanten weitergeben usw…. Man kann aber auch mit Modellen rechnen, um einen ungefähren Wert zu ermitteln. Oft bleibt einem da auch nichts anderes übrig. Die Verbesserung der Bilanz kann ja nur das Unternehmen selbst beeinflussen oder sich Lieferanten suchen, die mehr auf die Umwelt achten. Dies gestaltet sich aber nicht so einfach, wie es klingt, da ich mich als Betrieb auf die Aussagen des Lieferanten verlassen muss, womit ich immer noch nicht sicher bin, wie und wo das Grundmaterial beispielsweise abgebaut wurde.

 

UM: Auf der einen Seite das Produkt/das Werkstück, auf der anderen Seite die Wertschöpfungskette: Kann man das mit ein- und derselben Software darstellen?

Teichmöller: Ja und aber: Hier gilt im Prinzip das Gleiche wie oben. Natürlich kann man die Prozesse im eigenen Haus am besten abbilden, denn hier kennt man ja die Daten, Verbräuche etc. aus der eigenen Buchhaltung/Produktion. Wenn es um die gesamte Wertschöpfungskette geht, muss man evtl. wieder auf Modelldaten zurückgreifen. Stichwort Modelle: Nicht jedes Werkzeug, selbst wenn es aus der gleichen Produktlinie kommt, hat die gleiche Standzeit. Und setze ich für meinen Transporter etwa 200.000 oder 400.000 Kilometer Laufleistung an? Bis auf´s kleinste My µ kann man nicht alles ausrechnen. Modelle schaffen hier letztlich nur eine relativ exakte Abbildung...

 

UM: Welche Softwares sind denn zertifiziert, gibt es für das Gewerbe überhaupt Produkte, die offiziell anerkannt sind und wer kontrolliert das? Gibt es einen CO2-Software-TÜV? Was ist allgemeiner Standard?

Teichmöller: Da die Anwendungen bzw. Berechnungen sehr individuell sind, nutze ich persönlich dafür ganz rudimentär Excel! Es gibt sicher komfortablere Software. Dabei besteht aber immer das Problem, all die benötigten Daten zu bekommen, um das System zu füttern. Da ich für meine Kunden die Berechnungen mit eigenen Tools erstelle, habe ich mich mit dem Thema „was gibt es für Software“ nicht beschäftigt.

 

UM: Gerade in kleinen Betrieben ist der Chef oft Fertigungsleiter, Akquisiteur, Personalchef und vieles mehr. Praktisch: Da gibt es keine Manpower für CO2-Bilanzen...

Teichmöller: Dafür gibt es ja Berater, die einen dabei unterstützen können. Man sollte davor auch nicht zu viel Angst haben, da es keine Raketenwissenschaft ist! Die Bilanz erstmalig zu erstellen, ist schon aufwändig – keine Frage – aber wenn das Tool einmal steht, muss man es nur fortlaufend mit Daten füttern und bekommt laufend eine aussagekräftige Auswertung.

 

UM: Mit welchem Aufwand muss man bei diesem Thema langfristig rechnen?

Teichmöller: Da man die Daten dann fortlaufend pflegt, ist der Aufwand überschaubar! Eine CO2-Ersparnis bedeutet sehr oft auch eine Kosteneinsparung, und das ist sicher im Interesse der Unternehmen.

 

UM: Wo kann sich ein Betrieb beispielsweise Hilfe bei dieser Mammut-Aufgabe holen?

Teichmöller: Die einzelnen spezifischen Verbände und Vereine in diesem Umfeld bieten oft geeignete Ansprechpartner, alternativ kann man auch Betriebe seines Vertrauens fragen, die eventuell auf diesem Gebiet schon Erfahrungen gemacht haben. Leider gibt es auch immer wieder schwarze Schafe bei den Energieberatern, die viel Geld für wenig Leistung nehmen, da das Thema im Moment so präsent ist und jeder denkt, dass er augenblicklich agieren muss. Hier gilt es auch zu prüfen, was für den eigenen Betrieb überhaupt angemessen ist und in Betracht kommt. Als Vier-Mann-Betrieb sollte man sich hier kein Industrie-Tool und keine „Großpackung“ überstreifen lassen!

 

UM: Welches sind die entscheidenden Faktoren in einem Betrieb, die sozusagen den Fußabdruck vergrößern?

Teichmöller: Im produzierenden Bereich ist es meist der Strom, der für die Maschinen und die Peripherie benötigt wird und zweitens der Kraftstoff, die Energie, die zum Transport benötigt wird. Der CO2-Bedarf für Heizung ist im Gegensatz meist sehr gering durch die abgegebene Prozesswärme in den Betrieben. Wer hier schon Abwärme und Wärmetauscher nutzt, ist bereits sehr gut unterwegs.

 

UM: Praktisch gedacht: Macht es Sinn, einfach PV-Anlagen auf Hallendächer zu knallen, damit man etwa sauberen Strom in der Bilanz hat oder was ist bei den Betrieben im Einzelfall zu beachten, bevor man sich auf den Weg macht? Was macht aus Ihrer Erfahrung Sinn? Wo gibt es konkrete Verbesserungspotenziale?

Teichmöller: PV- Anlagen machen auf jeden Fall Sinn, da der erzeugte Strom weitestgehend tagsüber auch wieder direkt verbraucht werden kann. Ein Stromspeicher hingegen macht in Betrieben meist keinen Sinn, da diese enorm groß sein und eine hohe Leistung bringen müssten.

Hier ist eine genaue Planung und die Untersuchung der eigenen Fertigung wichtig. Dazu sollte man wissen, wann brauche ich wieviel Strom, welchen Anschluss, welche Leitung habe ich, reichen diese für meine geplanten Investitionen aus, habe ich zu gewissen Tageszeiten zum Beispiel Verschattung auf dem Dach? Wenn ja, wo und wann? Eine Frage, die im Bereich des Bauingenieurwesens angesiedelt ist, ist die Frage nach Statik – sprich, hält mein Dach die PV-Module ohne weiteres aus? Oder gibt es Alternativen, weil etwa noch eine Freifläche genutzt werden kann?

 

UM: Wo gibt es konkrete Verbesserungspotenziale?

Teichmöller: Pauschal kann man das nicht sagen! Zum einen kann ich natürlich meinen Stromverbrauch reduzieren, wie Beleuchtung, Kompressor, die KSS-Aufbereitung etc..Zum anderen sollte man aber auch schauen, ob andere Energieformen sinnvoll genutzt werden können, z.B. Prozesswärme. Dabei sollte man nicht blind einfach irgendwas machen, sondern die existierenden Chancen durchrechnen und durchspielen. Man muss letztlich aus betriebswirtschaftlicher Sicht gut überlegen, wo man investiert, um einen möglichst hohen Nutzen davonzutragen.

Das Interview führte UMFORMTECHNIK MASSIV + LEICHTBAU-Chefredakteur Tilo Michal

 

Info

Master-Ingenieur Jörg Teichmöller ist selbstständiger Unternehmensberater. Seine Einsatzgebiete reichen von der CAD-Zeichnung bis zur Software-Implementierung, von der Bauteil-Konstruktion bis zum Energie- und Gebäudemanagement. Er ist auf KMUs spezialisiert.