09.03.21 – Leichtbau

Leichtere Motoren und Getriebe

Umweltgerechtere Mobilität hat mit weniger Kraftstoff- und Stromverbrauch zu tun – und die wiederum hängen vom Gewicht der Fahrzeuge ab. Dass zum Beispiel Zahnräder bis zu 60 % leichter gebaut werden können, zeigten nun Forscher der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik.

Zahnkraenze.jpg

Zahnkranz und scheibenartiges Rohteil vor (links) und nach (rechts) dem Umformfügeprozess. © IFU Stuttgart

 
Robert-Meissner.jpg

Robert Meißner an einer servo-mechanischen Kaltfließpresse mit einem gebauten Zahnrad. © IFU Stuttgart

 
Alle Bilder anzeigen

Erreicht wurde diese Gewichtsreduktion im Rahmen der Initiative „Massiver Leichtbau“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zugleich ließ sich die Produktionszeit einzelner Teile um ein Drittel reduzieren. „Diese anwendungsübergreifenden Forschungsergebnisse konnten wir erzielen, weil wir innerhalb der WGP breit aufgestellt sind und interdisziplinär arbeiten können“, betont Professor Mathias Liewald, Leiter des IFU Stuttgart und einer der Projektleiter. „Für dieses Projekt haben unter anderem Umformtechniker, Verfahrensentwickler und IT-Experten an einem Strang gezogen.“

Zahnräder neu gedacht

Die Wissenschaftler der WGP entwickelten nicht nur sogenannte „gebaute Zahnräder“, sondern schufen auch Prozessketten für deren Produktion. „Die Zahnräder wurden konstruktiv in zwei beziehungsweise drei Einzelteile aufgebrochen: den Zahnkranz, den Zahnradkörper und die Welle-Nabe-Anbindung“, so Liewald. „Mit weiterentwickelten Produktionsverfahren haben wir dann gebaute Zahnräder produziert, bei denen lokal unterschiedliche Anforderungen an die Festigkeit berücksichtigt wurden. Das hat uns ermöglicht, ihr Gewicht drastisch zu reduzieren.“

An den Forschungsarbeiten waren insgesamt fünf WGP-Institute beteiligt: das IFU Stuttgart, IWT Bremen, ISF und IUL Dortmund und Utg München gemeinsam mit der Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau München. „Die innovativen Zahnräder könnten nicht nur im Automobilbau, sondern vor allem auch in leichteren Getrieben wie bei Motorrollern oder E-Bikes zum Einsatz kommen“, sagt Liewald.

Die Gewichtsreduktion um 60 % bei gleichbleibender Funktionalität wurde beim gebauten im Vergleich zum Vollkörper-Zahnrad durch die Kombination unterschiedlicher Materialien möglich. Normalerweise werden Zahnräder monolithisch aus einem Werkstoff als ein Werkstück gefertigt. „Wir haben einen Weg gefunden, diese in zwei beziehungsweise drei Einzelteile aufzubrechen: den Zahnradkörper, der das Drehmoment aufnimmt oder weiterleitet, die Anbindung des Rades an die Welle und den Zahnkranz, der aufgrund der hohen Drehmomente und Kontaktdrücke, die auf ihn einwirken, besonders belastbar und verschleißfest sein muss“, beschreibt Robert Meißner, Projektmitarbeiter am IFU Stuttgart, die Innovation. Die Forscher haben daher für den Zahnkranz einen hochfesten Werkstoff gewählt, der für den Zahnradkörper wiederum nicht nötig war.

Neue Produktionsverfahren

In einem ersten Verfahren fügten die Wissenschaftler kreisrunde, zu Paketen gestapelte Scheiben aus Blech in den auf 200 °C erwärmten Zahnkranz ein. Neu ist dabei nicht der thermische Fügeprozess, wohl aber die Verwendung paketierter Blechzahnradkörper. Bei Variante zwei wurde ein Stahl- beziehungsweise ein Aluminiumkörper ohne Erwärmung in den Zahnkranz hineingepresst. Auch dieses Umformfügeverfahren ist für die Zahnradproduktion eine Innovation. Es benötigt zwar mehr Kraft als das konventionelle Schmieden eines einteiligen Zahnrads und die Umformwerkzeuge verschleißen erwartungsgemäß schneller. Gegenüber dem Paketieren wird jedoch die Energie für die Erhitzung auf 200 °C eingespart. So ist das Kaltfließpressen – in diesem Fall das Querfließpressen – trotzdem deutlich energieeffizienter als bisherige Verfahren. „Es hatte bereits vorher Ansätze für gebaute Zahnräder gegeben“, so Meißner. „Aber das Verfahren ist nun wirtschaftlicher, weil wir mehrere Arbeitsgänge zu einem zusammengeführt haben.“

Leichtere, günstigere Kolbenbolzen

Die neuen Herstellungsverfahren wurden mit Simulationen entwickelt, die die lokal unterschiedlichen Anforderungen an die Festigkeit des Bauteils berücksichtigten. Zunächst simulierten die Forscher die Umformung eines Kolbenbolzens und in einem zweiten Schritt stellten sie die Belastung des Bauteils am Computer nach. In der virtuellen Welt zeigte sich auch, dass einzelne Fertigungsschritte der bisherigen Prozessketten für die Produktion des Kolbenbolzens überflüssig sind. Dadurch konnte die Produktionszeit für den Kolbenbolzen um mehr als 30 % verkürzt werden.

Zu guter Letzt berechneten die Forscher mittels Computer die maximale Gewichtsreduzierung. Bezogen auf den Kolbenbolzen waren das 4 %. „Wenn man bedenkt, dass Kolbenbolzen seit hundert Jahren immer wieder optimiert wurden, ist das, relativ betrachtet, ein erstaunliches Ergebnis“, betont Liewald. Möglich machte die erneute Gewichtsreduktion eine spiralförmige anstelle der bislang zylindrischen Innenkontur, die durch Abstreckgleitziehen hergestellt wurde. Mithilfe dieses weiterentwickelten Kaltumformverfahrens konnte die Festigkeit des weichgeglühten Rohmaterials für den Kolbenbolzen um 38 % erhöht werden. Diese optimierten Kolbenbolzen können in jedem Verbrennungsmotor zum Einsatz kommen, aber auch in ganz anderen Anwendungen wie kurzen Wellen in E-Motoren oder Achselementen in Fahrwerken. „Die Begrenzung liegt vor allem in der Länge des Rohrs“, stellt Meißner klar. „Eine wirtschaftlichere Produktion sollte sich durch die reduzierte Produktionszeit ergeben, was schließlich zu sinkenden Fertigungskosten führt.“

Doch nicht nur die Bauteile sind anwendungsoffen: „Das weiterentwickelte Herstellungsverfahren mittels Abstreckgleitziehen eignet sich nicht nur für die Kolbenbolzenproduktion, sondern zur Herstellung von gewichtsreduzierten hohlen Bauteilen wie Gehäusen oder Gewindehülsen insgesamt. Damit kann also an den unterschiedlichsten Stellen in verschiedensten Fahrzeugen deutlich Gewicht eingespart werden“, so Liewald.

Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e. V.
Lyoner Straße 14
60528 Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 75608132
kneifel@wgp.de
wgp.de