23.06.23 – Studie des WZL Aachen

Additiv gefertigte Leichtbau-Werkzeuge können KSS-Problematik entschärfen

Die Additive Fertigung bietet gerade für den Leichtbau die Möglichkeit, Prozesse neu zu strukturieren. Das kann auch die Supply Chain verändern.

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Mehrreihiges Demonstratorwerkzeug mit verlustarmer und zielgerichteter Kühlschmierstoff-Zufuhr zum Einsatz in Luftfahrt-Strukturbauteilen aus Titan. © Fraunhofer ILT, Walter AG, WZL der RWTH Aachen

 

Der Einsatz von Kühlschmierstoffen (KSS) ist bei der Fräsbearbeitung anspruchsvoller, schwer zerspanbarer Werkstoffe und Bauteile, wie beispielsweise Luftfahrt-Strukturbauteile aus Titanlegierungen, unerlässlich. Die produktive Fräsbearbeitung unter Einsatz von KSS bei teils hohen Zufuhrdrücken stellt das produzierende Gewerbe vor große Herausforderungen zur Reduktion ökonomischer sowie ökologischer Kosten. Insbesondere die Steigerung der Werkzeugstandzeit sowie die Reduktion des notwendigen KSS-Einsatzes können hier einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden und wettbewerbsfähigen Fertigung am Standort Deutschland leisten.

Freie Geometrien dank Add-Fertigung

Die Herstellung komplexer, prozessindividuell ausgelegter innengekühlter Werkzeuge mit konventionellen Fertigungsverfahren ist sehr aufwändig, kostenintensiv und nur begrenzt möglich. Die geometrische Gestaltungsfreiheit additiver Fertigungsverfahren bietet hier ein enormes Potenzial hinsichtlich einer individualisierten, zielgerichteten und verlustarmen KSS-Zufuhr. Durch die Verarbeitung metallischer Pulverwerkstoffe kann im Laser Powder Bed Fusion Verfahren (LPBF) die KSS-Zufuhr von Trägerwerkzeugen neu gedacht werden. Diese Möglichkeiten wurden im BMWK-geförderten Projekt TaCoMA (AiF) am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen erforscht. Ziel war die Nutzbarmachung der Potenziale additiv, im LPBF-Verfahren gefertigter Fräswerkzeuge hinsichtlich einer angepassten KSS-Zufuhr zur Steigerung der Werkzeugstandzeit und Prozesssicherheit. Am Beispiel von Fräswerkzeugträgern mit tangentialem Plattensitz wurden die Möglichkeiten und Grenzen strömungsmechanisch optimierter Kühlkanäle sowie einer zielgerichteten Düsenauslegung aufgezeigt. Das Projekt endete im März diesen Jahres nach dreijähriger Laufzeit und Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT und einem breiten Konsortium beteiligter Unternehmen aus den Bereichen Werkzeugtechnik, Maschinenbau, Endanwendung und KSS-Peripherie. Im Forschungsvorhaben TaCoMA wurden ein- und mehrreihige Trägerwerkzeuge mit verlustarmer und zielgerichteter KSS-Zufuhr entwickelt, im LPBF-Verfahren gefertigt und in zerspantechnologischen Untersuchungen analysiert. Die Erkenntnisse wurden in Gestaltungsrichtlinien und Handlungsempfehlungen für KMU nutzbar gemacht. Nach der Qualifizierung des niedriglegierten Einsatzstahls 18MnCrMoV4-8-7 im LPBF-Prozess wurden in fluidmechanischen Untersuchungen im Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen Untersuchungen geeignete Kanal- und Düsengeometrien identifiziert. Durch Nutzung der geometrischen Gestaltungsfreiheit konnten Volumenstromverluste um bis zu 21 % reduziert werden und der KSS-Freistrahl durch angepasste Düsenformen fokussierter geformt werden. Die Ergebnisse fanden anschießend in der Konstruktion einer angepassten KSS-Zufuhr im Fräswerkzeug Anwendung. Die Auslegung wurde dabei durch numerische Strömungssimulationen unterstützt, um schon vor der experimentellen Validierung Aussagen über das Leistungsvermögen treffen zu können. Durch die Testung unterschiedlichster KSS-Zufuhr-Varianten in hoher geometrischer Komplexität und Vielfalt an additiv gefertigten Messerkopfwerkzeugen beim Schruppfräsen des Vergütungsstahls 42CrMo4+QT sowie der Titanlegierung Ti-6Al-4V wurden geeignete Varianten extrahiert und Erkenntnisse für optimale KSS-Zufuhr-Konzepte gewonnen. Durch die zielgerichtete und verlustarme Zuführung des Kühlschmierstoffs an die mechanisch und thermisch hoch belastete Werkzeugschneide konnten Standwegsteigerungen von bis zu 70 % gegenüber dem Referenzwerkzeug erzielt werden. Gleichzeitig wurde der geförderte Volumenstrom fast halbiert und so der elektrische Leistungsbedarf der Werkzeugmaschine erheblich vermindert.

Fräswerkzeuge lösen Leichtbau-Probleme

Die enorme Effizienz- und Leistungssteigerung im Einsatz können die ökonomisch-ökologischen Mehrkosten im Herstellungsprozess additiv gefertigter Zerspanwerkzeuge kompensieren. In einer beispielhaften Kostenrechnung wurde der Werkzeugpreis für das additiv gefertigte Werkzeug knapp 50 % höher als für das konventionell gefertigte Vergleichswerkzeug abgeschätzt. Bei Berücksichtigung der gesamten Werkzeuglebensdauer lagen die Einsatzkosten für LPBF-gefertigte Werkzeuge 39 % unter den für das Werkzeug nach dem Stand der Technik berechneten Kosten. Die Ergebnisse einer Ökobilanzierung nach DIN EN ISO 14040/44 zeigten auch für die potenziellen Umweltauswirkungen im Werkzeugeinsatz das Potenzial auf. Der für die Werkzeuglebensdauer berechnete CO2-Fußabdruck reduzierte sich durch den effizienteren KSS-Einsatz und die verlängerte Lebensdauer der Schneidplatten um 20 %.

 An einem mehrreihigen Demonstratorwerkzeug wurde die Einsatzfähigkeit LPBF-gefertigter Trägerwerkzeuge für die Schwerzerspanung im industriellen Umfeld nachgewiesen. Der 16-schneidige Igelfräser mit verlustarm und zielgerichtet ausgelegter KSS-Zufuhr wurde in der Titanzerspanung beim Flugzeugbauer Premium AEROTEC im Produktionsumfeld getestet. Gegenüber dem konventionell gefertigten Katalogwerkzeug konnten der geförderte Volumenstrom um 25 % reduziert, der Werkzeugverschleiß um 27 % gesenkt, das eingenommene Spanvolumen um 25 % verkleinert und damit die Spanabfuhr verbessert werden. Durch die verbesserte Funktionalität können additiv gefertigte Fräswerkzeuge mit angepasster KSS-Zufuhr eine sinnvolle Alternative gegenüber dem Stand der Technik darstellen. Die im Rahmen des Projektes gewonnen Erkenntnisse können von Werkzeugherstellern, Endanwendern als auch in der gesamten Supply Chain des Leichtbaus genutzt werden.

www.wzl.rwth-aachen.de