20.06.22 – Warmmassivumformung
Schmierstoffe bieten erhebliches Optimierungspotenzial
Das Potenzial moderner Schmierstoffe für Produktivitätssteigerungen wird oft nicht ausgeschöpft. Dabei lässt sich ihre prozessspezifische Eignung meist einfach und kostengünstig testen. Ohnehin ist der Einsatz angepasster Technologien für immer kleinere Losgrößen und komplexere Geometrien unumgänglich.
Die Massivumformung folgt den Anforderungen des Marktes nach technologisch anspruchsvollen und wirtschaftlich konkurrenzfähigen Teilegeometrien und Fertigungsverfahren. Heutige Hochleistungsumformungen erfordern eine sorgfältige Teilekonstruktion sowie eine angepasste Werkzeug- und Prozessauslegung. Die maximal mögliche Umformung wird unter anderem begrenzt durch die Werkstoffeigenschaften des Umformteils, die Belastbarkeit der Werkzeuge sowie die Eigenschaften der Umformaggregate. Hinzu kommen die tribologischen Wechselwirkungen von Werkzeug und Werkstück in der Umformzone. Bei klassischen FEM-Berechnungen und vorbereitenden Prozessauslegungen finden diese tribologischen Parameter kaum Beachtung. Gerade für etablierte Prozesse jedoch bieten moderne Trenn- und Schmierstoffe hohe Optimierungspotenziale. Die Auswahl entsprechender Produkte kann in technischen Gesprächen effektiv evaluiert werden, und ihre Eignung und Performance lässt sich meist einfach und mit geringen Produktionsunterbrechungen nachweisen.
Einsparungen von bis zu 25 % bewirken
Der Kostenanteil für Schmierstoffe an den Gesamtkosten eines Umformteils wird durchschnittlich mit circa 1 % angegeben. Nicht selten führt dies dazu, dass das unbeliebte Betriebsmittel Gesenktrennstoff in der Warmumformung nur eine untergeordnete Beachtung findet. Das Einsparpotenzial im Gesamtprozess ist hingegen weitaus höher. Materialpreise und Ausbringung schlagen in der Regel mit einem Anteil von circa 50 bis 60 % als größter Kostenblock zu Buche. Der Einsatz moderner, adaptierter Schmier-/Trennstoffe kann leicht Einsparungen von bis zu 25 % bewirken. Die Werkzeugkosten betragen etwa 15 bis 20 %. Einsparungen und Standzeitverlängerungen von bis zu 30 % sind keine Seltenheit. Energieeinsparungen können zudem durch reduzierte Presskräfte, höhere Ausbringungen und geringere Nacharbeiten erreicht werden. Der Faktor Arbeitskraft geht mit 15 bis 20 % in die Gesamtkosten ein. Hier können Erleichterungen durch weniger Produktionsunterbrechungen, Prüf- und Nacharbeiten, aber auch eine Erhöhung von Arbeitsplatzkomfort und Betriebssicherheit bewirkt werden. In der Instandhaltung greifen diese Einsparungspotenziale durch angepasste Schmierfette oder Öle in vergleichbarer Gewichtung. Die Instandhaltungskosten liegen zwischen 5 und 10 %.
Theoretische Modelle und ihre Validierung
Die Wirkung von Schmierstoffen kann mit diversen mathematisch-tribologischen Modellen beschrieben werden. So charakterisiert etwa Deters [1] das tribologische System (TTS) über Funktion, Eingangsgrößen, Störgrößen, Ausgangs- und Verlustgrößen sowie Systemstruktur. Als Eingangsgrößen werden Bewegungsart und -ablauf, Belastung, Geschwindigkeiten, Temperaturen und Beanspruchungsdauer definiert. Ungewollte Eingangsgrößen werden gesondert als Störgrößen beschrieben, als Verlustgrößen werden Verschleiß und Reibung verstanden. Kraft-, Bewegungs-, Energie- und Signalgrößen gelten als technisch nutzbare Ausgangsgrößen des Systems.
Eine von Richard Stribeck entwickelte Methodik zur Bestimmung der Stribeck-Kurve macht die Stoff- und Filmbildungseigenschaften des Schmierstoffes zwischen den Körperpaaren 1 und 2 sowie die Auswirkung auf den Reibungszustand messbar. Die Grenzreibung beschreibt die Reibung zwischen festen Grundkörpern und modifiziertem Grundmaterial, beispielsweise durch Reaktionsschichten. Ist zwischen den Grundkörpern kein zusammenhängender Schmierfilm vorhanden, können sich einzelne Rauheitsspitzen der Körperpaare berühren. Dies wird als Mischreibung bezeichnet.
Unter dem Haft-Gleit-Effekt, gebräuchlicher dem Stick-Slip-Effekt, versteht man das abwechselnde Haften und Gleiten einer Reibpaarung, wenn kontinuierliches Gleiten (noch) nicht erreicht wird. Die Reibung innerhalb des Schmierfilms ist im Bereich der hydrodynamischen Flüssigkeitsreibung am geringsten und steigt linear mit der Geschwindigkeitszunahme an. Das erweiterte Stribeck-Diagramm gibt die genannten Reibungszustände mit Korrelation zur Schmierfilmdicke an.
Trotz vieler theoretischer Modelle sind mathematische Beziehungen für die Berechnung oder Simulation tribologischer Systeme nur für genau festgelegte und stationäre Spezialfälle verfügbar. Experimentelle Vergleiche sind in der Praxis unumgänglich. Mit diversen, die Praxis nachbildenden Apparaturen sind die Schmierstoffhersteller in der Lage, die Funktions- und Wirkweise der Schmierstoffformulierungen praxisnah im Labor zu analysieren. Bewährte Prüfmethoden sind Hochtemperaturtribometer, Ringstauch- und T-shape-Versuch sowie die Mipac-Trennfilmbestimmung.
Aufbau der Umformschmierstoffe
In der Warmmassivumformung werden zu circa 80 % wasserbasierte Trennstoffe eingesetzt, da sie entscheidend zur Wärmeabfuhr beitragen. 20 % hingegen sind ölbasierte Trennstoffe. Zu den grafithaltigen Gesenktrennstoffen, die noch immer die größte Produktgruppe darstellen, zählen Grafit-in-Wasser-Dispersionen, Grafit-in-Öl-Schmierstoffe, Grafit-Öl-Wasser-Emulsionen (Suspensionen) sowie Grafit-Fette. Makrokistaline Naturgrafite finden ebenso Anwendung wie synthetischer polykristalliner Grafit. Nach Bing und Schwickert [2] ist die Gleiteigenschaft von Grafit keine intrinsische Eigenschaft. Für die Schmier-/Gleiteigenschaften ist zwingend die Präsenz von Wasserdampf erforderlich. Durch Einlagerung von Dampfmolekülen wird der Zwischenlagenabstand der Layer erhöht, was zu einer Schwächung und somit zum vereinfachten Gleiten der Grafitlayer führt.
Für den Anwender ist vor allem auch die Partikelgröße ein wichtiger Parameter für die Auswahl eines geeigneten Gesenktrennstoffs. Über spezielle, aufwendige Mahlverfahren (trocken/nass) werden die Grafite in definierte Korngrößen gemahlen. Die Partikelgrößen haben entscheidenden Einfluss auf die Schmierstoffeigenschaften. Grundsätzlich lässt sich sagen: Grobe Grafitpartikel bieten gute Trenneigenschaften (Ausformen) und Vorteile auf rauen beziehungsweise verschlissenen Gesenkoberflächen, neigen zur Sedimentation im Konzentrat und besonders im Gemisch und haben eine geringere Oxidationsneigung. Feine Grafitpartikel bieten eine bessere Oberflächenbenetzung im Gesenk (Opazität) und dünnere Trennschichten auf den Gesenkoberflächen, sichern feine Oberflächenqualitäten des Schmiedeteil und unterstützen die Fließeigenschaften des Metalls bei der Umformung.
Neben grafithaltigen Gesenktrennstoffen gewinnen die grafitfreien „weißen“ Gesenktrennstoffe in der Warmmassivumformung eine zunehmende Bedeutung, wobei sie die grafithaltigen Produkte immer mehr verdrängen. Zu ihnen zählen seifen-/salzbasierte Trennstoffe sowie seifen-/salzbasierte Trennstoffe mit Polymeradditiven. Eine Mischform bilden „graue“ Trennstoffe, die aus weißen Trennstoffen mit einem geringen Grafitanteil bestehen. Der Vorteil dieser Trennstoffe liegt in der „sauberen Fabrik“, der feststofffreien Rezeptur, geringen Rückständen im Werkzeug und Pressenraum sowie dem hohen Arbeitsschutz und der guten Wirtschaftlichkeit. In den letzten Jahren konnten in diesem Produktsortiment durch neue Inhaltsstoffe und Formulierungen nicht zu unterschätzende Fortschritte erzielt werden.
Zunderschutzbeschichtung und Verglasung
Vor der Umformung und Erwärmung eines Rohlings können auf Kohlenstoffstähle per Sprüh- oder Tauchverfahren Zunderschutzbeschichtungen aufgetragen werden. Die heutigen wasserbasierten Dispersionen mindern durch spezielle Additive die Zunderbildung während der Ofenreise und in der Umformung zusätzlich Reibung. Auch diese Zunderschutzprodukte haben einen Grafitanteil.
Bei Titan, Inconel und Sonderlegierungen werden Verglasungen auf den Rohling oder Block aufgetragen. Durch die Auswahl an ausgewählten Silikaten und Additiven (Metalloxide) sowie der Korngrößen können unterschiedliche Anwendungen und Ofenreisen von 30 min bis 16 h realisiert werden. Hierdurch werden maßgeblich die Parameter beeinflusst Oxydation/Zunder, Reibung, Wärmeabfuhr, Wasserstoffdiffusion sowie Phasenumwandlungen.
Zusammenfassung
Der Auswahl des Umformschmierstoffs kommt eine gewichtige Bedeutung zu – mit zumeist unterschätztem Einsparungspotenzial. Aufgrund der recht einfachen, kostengünstigen Möglichkeit, unterschiedliche Schmierstoffe im Fertigungsprozess vergleichend anzuwenden, ergeben regelmäßige Produktbenchmarks und Trials erhebliche Optimierungspotenziale. Die etablierten Schmierstoffhersteller bieten neben fachkundiger Beratung vor Ort gern auch Schulungsmodule an. Außerdem ist das Zusammenspiel mit der Sprüh- und Mischtechnik von entscheidender Bedeutung.
Literatur
[1] Deters, L.: Grundsätzliches zu Reibung und Verschleiß in der technischen Anwendung. In: Magdeburger Wissenschaftsjournal 1(2004), S. 16-26
[2] Bing K. Y.; Schwickert, B. E.: Origin of low-friction behavior in graphite investigated by surface x-ray diffraction. SLAC-PUB-10429, San Jose 2004
Ingo Köhle, Vertriebsleiter bei Condat
Der Beitrag liegt hier im Vergleich zur ursprünglichen Fassung in leicht gekürzter Form vor.
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