07.01.21 – Gewalzter, wetterfester Feinkornstahl

Brücke leicht gemacht

Beim Bau der Carrington Bridge in Worcester/England feierte der Markenstahl „Diweten 460+M“ von Dillinger seine Premiere. Denn mit der überarbeiteten Normenreihe EN 10025-2 bis -6 ist der wetter- und höherfeste Stahl nun auch in Europa zugelassen. Verbaut hat ihn der Stahlbauer Cleveland Bridge UK.

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Für den Bau der neuen Carrington Bridge im englischen Worcester setzt Cleveland Bridge den Markenstahl „Diweten 460+M“ ein. © Dillinger

 
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Mitarbeiter von Cleveland Bridge prüfen die Fertigungszeichnungen. © Dillinger

 
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Mit der Verdoppelung der Southern Link Road wurde eine der verkehrsreichsten Straßen im britischen Worcester an die aktuellen Erfordernisse angepasst. Letzter Teil des Infrastrukturprojektes, das zu den größten in der Geschichte der Region zählt, ist der Neubau der Carrington Bridge in unmittelbarer Nähe zur bestehenden Brücke. Mit der Stahlbaukonstruktion der 205 m langen Brücke, die den Fluss Severn überquert, wurde Cleveland Bridge UK beauftragt. Ausschlaggebend für die Auftragserteilung war der Vorschlag von Cleveland Bridge, statt des geplanten wetterfesten Stahls der Güte S355 den Markenstahl Diweten 460+M von Dillinger einzusetzen.

Innovator und Querdenker

Das 1877 in Großbritannien gegründete Stahlbauunternehmen Cleveland Bridge hat seinen Sitz in Darlington. Mit mehr als 250 Mitarbeitern ist es spezialisiert auf Entwurf, Konstruktion, Fertigung und Bau komplexer Stahlkonstruktionen für die Bereiche Brücken, Verkehrsinfrastruktur, Städtebau sowie Energie- und Rohstoffindustrie. Seiner Innovationskraft und dem technologischen Querdenken verdankt das Unternehmen den Ruf als Pionier des Brückenbaus: Viele Bau- und Montagetechniken wurden im Laufe der 150-jährigen Firmengeschichte entwickelt und umgesetzt. Zu den bekanntesten Bauwerken von Cleveland Bridge gehören die „Victoria Falls Bridge“ in Simbabwe, die „Sydney Harbour Bridge“ in Australien, aber auch „The Shard“ in London oder der Bogen des Wembley-Stadions.

Insbesondere für scheinbar unlösbare bauliche Herausforderungen ist das Unternehmen ein gefragter Partner. Zugleich ist der Metallbauer für seinen nachhaltigen Ansatz bekannt: Als mehrfach ausgezeichneter Hersteller spiegelt sich sein Umweltengagement in den Fertigungsprozessen sowie der Material- und Lieferantenwahl wider. Seit dem Jahr 2000 ist das Unternehmen Teil der saudischen Al-Rushaid-Gruppe.

Höher- und wetterfester Stahl

Der Auftrag an Cleveland Bridge zum Bau der Carrington Bridge umfasste Fertigung, Lieferung und Errichtung der 873 t schweren Stahlbaukonstruktion sowie die temporären Arbeiten bei der Brückenmontage. Der ursprüngliche Bauplan sah eine 6-Feld-Konstruktion vor, wie sie auch die gleichnamige Vorgängerbrücke kennzeichnet. Schon bei einem frühen Treffen mit Designern und Generalunternehmen schlug Cleveland Bridge jedoch den Einsatz des Dillinger Markenstahls Diweten 460+M vor, um das Gewicht der Konstruktion sowie die Fertigungs- und Montagezeit zu verringern. Entwerfen ließ sich die Brücke dadurch als 3-Feld-Konstruktion.

Möglich machte dies der thermomechanisch gewalzte, wetterfeste Feinkornstahl durch seine – verglichen mit Stahl der Güte S355 – um 30 % höhere Streckgrenze, die eine Verringerung der eingesetzten Blechdicken in analoger Höhe erlaubt. Die dünneren Bleche erfordern kleinere Schweißnähte und senken so nicht nur das Schweißvolumen und den Verbrauch an Schweißzusätzen, sondern auch den Fertigungs- und Prüfaufwand. Durch seine chemische Zusammensetzung bietet Diweten 460+M zudem erhöhten Widerstand gegen atmosphärische Korrosion, sodass er dauerhaft wartungsfrei ist und weder Erst- noch Instandhaltungsanstriche benötigt. Dank des geringeren Gehalts an Legierungselementen paart er diese Eigenschaften mit sehr guter Schweißbarkeit. So erfordert der Stahl durch den geringen Kohlenstoffäquivalentwert (CEV ~ 0,43) deutlich weniger Vorwärmtemperaturen und -zeiten als normalisierte wetterfeste Stähle gleicher Festigkeit. Damit verkürzt sich neben den Aufheiz- und Abkühlzeiten die gesamte Dauer der Vorfertigung. Zusätzlich wirkt sich eine niedrige Vorwärmtemperatur positiv auf die Arbeitsbedingungen und die Arbeitssicherheit auf der Baustelle aus.

Bahnbrechendes Projekt

Für Schweißfachingenieur Dean Baker, der für Cleveland Bridge schon über 30 Brückenbauten betreut hat, machte zudem die geringere Fehlerrate beim Schweißen den Stahl zur ersten Wahl: „Der niedrige CEV senkt das Rissrisiko bei den Schweißnähten.“ Das qualifiziert Diweten 460+M aus seiner Sicht gerade für anspruchsvolle Stahlkonstruktionen wie Brücken oder Hochhäuser, wo besonders hohe Anforderungen an Schweißeignung und Festigkeit gelten. Bei der Konstruktion der Carrington Bridge konnte durch den Einsatz dies Markenstahls das Gewicht um 15 % verringert, die Anzahl der Pfeiler von fünf auf zwei reduziert und auf die Anwendung von Dopplerblechen vollständig verzichtet werden. Die Gewichtseinsparungen ermöglichten größere und schnellere Montageeinheiten mit der Folge, dass auch weniger Transporte erforderlich waren.

Die von Dillinger vor Jahren entwickelten thermomechanisch gewalzten Diweten-Stähle sind durch die 2019 erschienene überarbeitete Version der Normenreihe EN 10025-2 bis -6 mittlerweile in ganz Europa für den Stahlbau zugelassen. Das erste Projekt, bei dem Diweten 460+M im Vereinigten Königreich eingesetzt wurde, war der Bau der Carrington Bridge von Cleveland Bridge. Dies war ein bahnbrechendes Projekt, das einige Herausforderungen mit sich brachte, wie Dean Baker betont: „Die Wahl des richtigen Schweißzusatzes ist bei höherfesten Stählen immer kompliziert. Weil der Schweißzusatz die Festigkeit des Stahls übertreffen muss, um Risse in der Schweißnaht zu verhindern, waren mit dem neuen Stahl im Vorfeld sehr aufwendige Verfahrensprüfungen verbunden.“ Zudem galt es, die Schweißzertifizierung für das Material zu bekommen, was rund 15 verschiedene Qualifizierungen erforderte. „Das war ein aufregendes Projekt“, erinnert sich Dan Sowerby, verantwortlicher Projektmanager für die Carrington Bridge. „Für Prüfungen erhielten wir von Dillinger ein Blech vorab, was uns geholfen hat, den engen Zeitplan einzuhalten und die umfangreiche Verfahrensqualifizierung innerhalb der vorgegebenen acht Wochen erfolgreich abzuschließen.“

Stahlträger am laufenden Band

Die 205 m lange Brücke setzt sich aus drei Spannweiten – 64 und 72 m über Land sowie 69 m über den Fluss – zusammen. Ihre Breite liegt zwischen 12,35 m am westlichen Ende und 16,5 m am östlichen Ende, wo eine Zubringerspur vom Kreisverkehr die beiden je 3,65 m breiten Fahrspuren ergänzt. Vier Gurtreihen aus zwei miteinander verspannten befestigten und mit Versteifungselementen verstärkten Stahlträgerpaaren bilden die Tragkonstruktion für die Stahlbetondecke auf der Oberseite der Brücke. Die vier Hauptträger trennen die beiden Betonpfeiler vom Deck.

Für die Fertigung der Haupt- und Membranträger sowie der Versteifungselemente verarbeitete Cleveland Bridge insgesamt 825 t Diweten 460+M. Allein für Querträger- und Diagonalverstrebungen sowie für Verbindungslaschen kam wetterfester S355 zum Einsatz. Dillinger lieferte 60 Bleche Diweten 460+M in Dicken von 16 bis 50 mm, Breiten bis 3,43 m und einer Länge von 21,31 m.

Cleveland Bridge teilte die Gesamtkonstruktion in zwölf transportfähige Fertigungsabschnitte mit sechs unterschiedlichen Längen auf. Im ersten Schritt wurden die Träger, Flansche und Stege geschnitten und anschließend T-förmig zu Einzelträgern automatisiert zusammengeschweißt. Diese in Länge und Gewicht variierenden Einzelträger wurden dann mit Verstrebungen verbunden. Rund einen Monat dauerte die Fertigung pro Träger. Cleveland Bridge produzierte jedoch in den gewaltigen Fertigungshallen, in denen bis zu drei Träger gleichzeitig bearbeitet werden können. Der längste Träger der Carrington Bridge war rund 42 m lang, der schwerste hatte ein Gewicht von 42 t.

Erfolgreiches Exempel an innovativem Potential

Das ursprünglich geplante Installationsdatum im Januar 2020 ließ sich dann aber nicht halten: Hochwasser des Severn sorgten für eine sechsmonatige Verzögerung, hinzu kamen drei weitere Monate durch Covid-19. Das neue Installationsdatum lag nun im Oktober. Angesichts räumlicher Beschränkungen und in direkter Nähe zur Brücke verlaufender Hochspannungsleitungen war bei der Positionierung viel Fingerspitzengefühl gefragt. Zudem erforderte die Verschraubung der Elemente über dem Fluss eigens von Cleveland Bridge entwickelte Logistiklösungen wie einen Ponton und mobile Hebebühnen. Eine willkommene Möglichkeit für das Unternehmen, einmal mehr die Innovationskraft bei der Installationstechnik unter Beweis zu stellen.

„Die Ingenieure bei Dillinger waren für uns eine große Hilfe bei der Erarbeitung der Schweißqualifikation“, zieht Baker das Fazit. Voll des Lobes ist er über die online bereitstehenden Tools zur Berechnung der Vorwärmtemperaturen: „Das ist ein ausgezeichneter Service, den Dillinger auf der Unternehmenswebsite und per App bietet.“ Sowerby ergänzt: „Nachdem Diweten 460+M mit Überarbeitung der EN 10025 zugelassen wurde, hat unser Unternehmen die erste Brücke in Großbritannien mit dem wetter- und höherfesten Stahl gebaut. Das ist ein erfolgreicher Beleg für das Potenzial dieses Materials.“

AG der Dillinger Hüttenwerke
Werkstraße 1
66763 Dillingen/Saar
Tel.: +49 6831 470
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www.dillinger.de
Cleveland Bridge UK Ltd.
Cleveland House, Yarm Rd
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