06.06.24 – E-Bike-Produktion
Ein Innovation-Framework zeigt Wachstumspotenziale auf
In der schnelllebigen Welt ist die Fähigkeit zur Innovation ein entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg. Dies gilt auch für die Unternehmen der Kaltmassivumformung, einer Schlüsseltechnologie der Fertigungsindustrie. Wie Wachstumspotenziale sichtbar werden, zeigt ein Beispiel aus der E-Bike-Produktion.
Wie andere Industrien auch, ist sie der Dynamik des Umfelds ausgesetzt. Es gilt auf äußere Risiken und Chancen zu reagieren. Eine solche Chance bietet sich den Kaltmassivumformern auf dem E-Bike-Sektor. Dieser erfuhr durch die COVID-19-Pandemie und ein gesteigertes Umweltbewusstsein der Endkunden einen beispiellosen Aufschwung und bietet damit eine ausgezeichnete Möglichkeit zur Markterweiterung.
Chance beim Schopfe gepackt
Als methodische Grundlage dient das „Innovation-Framework“, wie es Abbildung 1 darstellt. Es handelt sich um ein Rahmenmodell, das den Innovationsprozess in seiner Komplexität herunterbricht und ihn damit handlebar macht. Auf der linken Seite haben wir den Input, der Impulse für Innovationsaktivitäten liefert. Im mittleren Bereich erfolgt die Verarbeitung des Inputs, was rechtsseitig in neuen Produkten und Dienstleistungen mündet – dem Output. Der Kernprozess wird durch ein Fundament von Ressourcen flankiert, zu diesen zählen sowohl Finanzen als auch Mitarbeiter-Knowhow. Die Strategie sitzt zu oberst und gibt den am Innovationsprozess Beteiligten Orientierung und Zielvorgaben für ihr Handeln.
Input und Strategie
Input erhält der Innovationsprozess aus vielfältigen Quellen: Die wohl wichtigste Quelle sind die Bestandskunden, daneben sind Konkurrenzaktivitäten, Hinweise von Lieferanten, aktuelle Technologieentwicklungen und natürlich Informationen aus dem eigenen Unternehmen aufzuzählen. Aus ihnen ergibt sich ein Gesamtbild des Ist-Zustands.
Für die Kaltmassivumformung ließe es sich wie folgt beschreiben: Die Konjunkturlage ist eingetrübt, die Gesamtwirtschaft schrumpft, nicht zuletzt aufgrund der hohen Energiekosten. Neben diesen Risiken eröffnen sich aber auch neue Chancen. So werden zunehmend langlebige, nachhaltige Produkte gefordert. Ressourcenschonung gewinnt an Bedeutung. Diese Punkte kann die Kaltmassivumformung gut adressieren. Die Materialausnutzung liegt häufig > 95% und die Kaltverfestigung und der Faserverlauf ermöglichen die Realisierung von Leichtbau. Kombiniert man diese Vorteile mit dem Aufschwung des E-Bike-Marktes, so lässt sich ein strategisches Ziel formulieren: Der Ausbau kaltmassivumgeformter Komponenten für den E-Bike-Markt.
Das übergeordnete Ziel lässt sich in Teilziele herunterbrechen: Zunächst ist der quantitative Nachweis einer wirtschaftlicher Relevanz zu erbringen. Dies erfolgt in „Prozess: A) Marktanalyse“. Im zweiten Schritt sollen konkrete Produkte für die Kaltmassivumformung identifiziert werden. Dies erfolgt in „Prozess: B) Technologische Analyse“. Die in den Analysen aufgedeckten Herausforderungen werden im Kapitel „Prozess: C) Markteintrittsbarrieren“ behandelt.
A. Marktanalyse
Die Marktanalyse und strategische Ausrichtung im Bereich der E-Mikromobilität, insbesondere bei E-Bikes, verdeutlicht ein dynamisches Wachstum und zunehmende Nachfrage. Schlüsseltrends und Einflussfaktoren wurden durch eine PESTEL-Analyse eingehend untersucht (Marre, 2024). Diese Analyse betrachtet politische, wirtschaftliche, soziale, technologische, umweltbezogene und rechtliche Faktoren, die Einfluss auf die Geschäftstätigkeit haben können.
Die Abbildung 2 illustriert die Definition des Marktes und mögliche Mobilitätslösungen sowie die potenzielle Entwicklung des Marktes für Mikromobilität, basierend auf der durchgeführten PESTEL-Analyse. Diese Visualisierung unterstreicht die Bedeutung externer Faktoren für die strategische Planung und zeigt auf, wie sich diese auf die Attraktivität und Zugänglichkeit von E-Bikes auswirken können. Die vorgestellte Marktprognose, die eine Verdoppelung des Marktvolumens von E-Bikes bis zum Jahr 2028 vorhersagt, untermauert das Potential, das dieser Markt bietet (Marre et al., 2023).
Seit 2019 übersteigt die Produktion von E-Bikes in Deutschland die von herkömmlichen Fahrrädern, ein Indikator für das zunehmende Interesse an umweltfreundlichen Transportmitteln. Die Verdoppelung der E-Bike-Importe seit 2017 unterstreicht die Vielfalt und Verfügbarkeit dieser Fahrzeuge. Prognosen deuten auf ein weltweites Marktvolumen von 48 Milliarden US-Dollar bis 2028 hin, was einem Anstieg von 100% im Vergleich zu 2022 entspricht (Statista Research Department, 2024; Janson, 2023). Abbildung 3 zeigt die Modellgruppen und Preisentwicklung, was den derzeitigen Anteil von E-Bikes an allen verkauften Modellgruppen von Fahrrädern von ca. 43% bei einem durchschnittlichen Verkaufswert von ca. 1600 € (2022) verdeutlicht. Die Analyse des Marktes ergab, dass die Marktattraktivität gegeben ist. Es folgt im nächsten Prozessschritt die technologische Analyse.
B. Technologische Analyse
Durch die Zerlegung und Analyse eines E-Bikes mitsamt Antriebseinheit, konnten spezifische Komponenten identifiziert werden, die besonders geeignet für die Kaltmassivumformung erscheinen. Komponenten wie Wellen, Zahnräder und Kupplungselemente, die eine hohe Belastbarkeit erfordern, stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Diese Auswahl basiert auf ihrer kritischen Rolle im Antriebsstrang sowie ihrer technischen Ähnlichkeit zu Bauteilen im Automobilsektor (Lange, Kammerer, Pöhlandt, & Schöck, 2007).
In strukturierten Fachgesprächen mit Branchenexperten wurde eine breite Palette von Ausgangsmaterialien und Verfahrensweisen für die Herstellung dieser Bauteile erörtert. Dabei wurden Mehrwerte der Kaltmassivumformung für das E-Bike identifiziert:
Leichtbau: Durch die belastungsgerechte Gefügeausprägung, die eine besonders hohe Belastbarkeit ohne Verlust der Stabilität ermöglicht, wird Material eingespart (Liewald, 2012).
Drehmoment: Bauteile profitieren von der belastungsorientierten Gefügeausbildung, die eine hohe Torsionssteifigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Drehmomentbelastungen ermöglicht. Dies reduziert den notwendigen Bauraum (Liewald, 2012).
Lastenräder: Lastenräder profitieren von der erhöhten Festigkeit und Dauerhaftigkeit der Bauteile. Durch gezielte Planung der Umformschritte können Eigenspannungszustände erzeugt werden, die zu einer höheren Lebensdauer und geringerem Wartungsaufwand führen (Dahmen, 2001).
Die technologische Analyse ergab, dass durch die Kaltmassivumformung Produkteigenschaften erzielt werden können, von denen E-Bikes in hohem Maße profitieren. Diese sind zu einem großen Teil Alleinstellungsmerkmale, welche die Kaltmassivumformung aus technologischer Sicht zu dem zu präferierenden Fertigungsverfahren erheben. Die Gründe, weshalb die identifizierten Bauteile aktuell zerspanend hergestellt werden, sind Gegenstand des nächsten Kapitels: Markteintrittsbarrieren.
C. Markteintrittsbarrieren
Das Fließpressen wird als Schlüsselverfahren für die primäre Formgebung der identifizierten Komponenten genannt. Charakteristikum des Fließpressens ist eine hohe Produktivität bei gleichzeitig hohen Maschinen- und Werkzeugkosten. Eine wirtschaftliche Fertigung wird erst bei Stückzahlen größer 10.000 erreicht. Die Absatzzahlen von E-Bikes geben das zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht her. Die Unkenntnis von Akteuren, Ansprechpartnern und marktspezifischen Gegebenheiten stellt eine weitere Barriere für den Eintritt in den E-Bike-Markt dar. Unternehmen müssen zunächst die Akteure verstehen, um effektive Vertriebs- und Servicenetzwerke aufzubauen. Die Überwindung dieser Barriere erfordert sorgfältige Planung, Forschung und die Bereitschaft, in das Verständnis des Marktes zu investieren. Die Überwindung der Markteintrittsbarrieren kann durch unterschiedliche Maßnahmen erfolgen. Netzwerktreffen und Verbandsarbeit können die Akteure miteinander verbinden. Und für die wirtschaftliche Fertigung kleiner Losgrößen können technische Lösungen entwickelt werden. Das allerdings ist mit F&E-Aufwand verbunden, dessen Finanzierung eine Herausforderung darstellt. Für Finanzierung von F&E bestehen in Deutschland diverse Fördermodelle. Diese können auch bei der Erschließung des E-Bike-Marktes dabei helfen, den Investitionsaufwand der Unternehmen abzufedern.
Ressourcenoptimierung und Innovationsförderung
Die Optimierung von Ressourcen und die Förderung von Innovationen sind entscheidend für die Kaltmassivumformung. Ein Fördermodell stellt das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) dar. Es wird als wichtiger Innovationskatalysator angesehen. Es liefert nicht allein finanzielle Ressourcen, sondern unterstützt auch die Vernetzung der Akteuren. Die Umsetzung von Forschungsergebnissen in praktische Anwendungen wird so beschleunigt, was besonders für die Entwicklung neuer Anwendungen für E-Bikes und innovative Mobilitätslösungen von Bedeutung ist (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand, 2023). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Nutzung externer Ressourcen, wie die Forschungszulage der deutschen Regierung, die erhebliche finanzielle Unterstützung für Forschung und Entwicklung bietet. Dies stärkt nicht nur die Innovationsfähigkeit, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (www.innoplus.jetzt).
Zusammenfassung
Der wachsende E-Bike-Markt bietet Unternehmen der Kaltmassivumformung Chancen zur Steigerung der Absatzzahlen. Das Innovation-Framework dient den Unternehmen dabei als Orientierung und Handlungsleitfaden. Markt- und Technologieanalyse konnten eine Marktattraktivität und -eignung nachweisen. Allerdings wurden auch Markteintrittsbarrieren erkannt, deren Überwindung weiteren F&E-Aufwand erfordert. Die damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der finanziellen Ressourcen können durch geeignete Instrumente begegnet werden. So kann etwa ein gemeinsames Vorgehen über Branchenverbände zu signifikanten Ressourceneinsparungen führen, ohne dass einzelne Unternehmen dabei Nachteile erfahren. Als eine weitere Möglichkeit zur Kosteneinsparung bietet sich Förderinstrumente wie das Zentrale Innovationsnetzwerk Mittelstand oder die steuerliche Forschungsförderung an.
https://www.fh-swf.de/cms/fertigungstechnik
Literatur
Liewald, M., Weiß, A., Weiß, A., Zinser, D., & Biallas, G. (2018). Kaltmassivprodukten zwischen Verbrenner und Elektromobilität. In P. Groche (Hrsg.), Moderne Umformtechnik – flexibel, wandlungsfähig, resilient: 13. Umformtechnisches Kolloquium Darmstadt (S. 41-56). Institut für Fertigungsforschung e.V., Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen, Technische Universität Darmstadt. ISBN 978-3-9819947-1-1.
Marre, M., & Labs, R. (2023, März). Micro e-mobility for the last mile: Opportunities for cold forging. Vortrag gehalten auf der MEFORM 2023 - Tagung für Umformtechnik.
Mordor Intelligence. (2023, September). E-Bike-Marktgröße & Anteilsanalyse - Wachstumstrends & Prognosen (2023 - 2028). https://www.mordorintelligence.com/industry-reports/e-bike-market
O'Connor, G. (2008). Major Innovation as a Dynamic Capability: A Systems Approach. Journal of Product Innovation Management, 25(3), 313-330. https://doi.org/10.1111/j.1540-5885.2008.00304.x
Otto, C. (2023, März 15). „Kleine Fahrradhersteller werden nicht mithalten können“. Next Mobility. https://www.next-mobility.de/ma-experte-tobias-seige-kleine-fahrradhersteller-werden-nicht-mithalten-koennen-a-a46305bc736e797cbdb45a34aa8858a9/
Marre, M. (2024, Februar). Erschließung von Wachstumsmärkten - Herausforderungen bei der Produktion mit niedrigeren Stückzahlen. Präsentiert bei der 37. Jahrestreffen der Kaltmassivumformer 2024.
Janson, M. (2023, 27. Juni). E-Bike schlägt E-Auto. Statista. https://de.statista.com/infografik/30293/neuzulassungen-von-elektroautos-und-e-bike-absatz-in-deutschland/.
Statista Research Department. (2024, 23. Februar). Number of bicycles and other cycles produced in the European Union (EU-27) between 2012 and 2021.
Statista. https://www.statista.com/statistics/1195930/total-production-of-bicycles-and-other-cycles-in-the-eu/.