12.10.23

Den Gesamtwirkungsgrad massiv erhöhen

Der Industriegetriebebau und insbesondere der Fahrzeuggetriebebau hat über die Jahrzehnte eine beachtliche Weiterentwicklung erfahren. Neue Lösungsansätze sind entstanden, beispielsweise einsatzoptimierte individuelle Getriebelösungen, eine stärkere Integration von elektronischen Submodulen in das Getriebe, das Einbringen von mehr Funktionalität und die Möglichkeit zur Vernetzung mit anderen Maschinenkomponenten.

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Der Beitrag zeigt, wie der Einsatz eines modular aufgebauten handelsüblichen Antriebssystems dazu beiträgt, den CO2-Fußabdruck einer Anlage zu optimieren. © Kabel.Consult.Ing/i-Stock

 
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Extrusionslinien für Medizinkabel bestehen aus jeweils einer Ab- und einer Aufwickelmaschine (Konstantleistungsantriebe), bei denen aufgrund der sich stetig verändernden Wickeldurchmesser und -drehmomente eine große Varianz gegeben ist. © Kabel.Consult.Ing

 
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Das hat sich auch auf den gewerblichen Rechtsschutz ausgewirkt. In den letzten zehn Jahren sind mehrere Patentschriften veröffentlicht worden, die sich allesamt damit beschäftigen, den ökologischen Fußabdruck im Maschinen- und Fahrzeugbau zu reduzieren.

 Zuverlässigkeit und Lebensdauer erhöhen, Gewicht und Bauraum sowie Wirkungsgrad verbessern, Kosten reduzieren, und das stets unter der Gesamtüberschrift „Energieverbrauch und Schadstoffemissionen senken (Stichwort CO2-Reduktion, Dekarbonisierung, CO2-Fußabdruck)“ – das sind die Anforderungen bei der Neu- und Weiterentwicklung von Getrieben. Aufgrund der zunehmenden Integration von (elektronischen) Peripheriebauteilen und Submodulen ins Getriebe sind kompaktere, leichtere und zuverlässigere Aggregate entstanden. Dieser Beitrag wird aufzeigen, wie der Einsatz eines modular aufgebauten handelsüblichen Antriebssystems zur Vermeidung von Überdimensionierung und überdimensionierten mechanischen, elektrischen und elektronischen Antriebsbaugruppen und somit zu einem Mehrwert für Maschinenhersteller wie -betreiber und ebenso für Anbieter von IoT-Geschäftsmodellen führt – und gleichzeitig dazu beiträgt, den CO2-Fußabdruck einer Anlage zu optimieren.

Gesamt-Antriebsanwendung mit einer sehr hohen Varianz: „Extrusionslinie für Medizinkabel“
Um die Anforderungen der modernen Medizin zu erfüllen, müssen Kabel für die Medizintechnik eine ganze Reihe spezieller Eigenschaften aufweisen. Dies betrifft nicht nur das Design, das natürlich möglichst raumsparend sein muss, sondern auch hygienische Eigenschaften und die Sicherheit bei der Anwendung. Um diese hohen Anforderungen zu erfüllen, werden sowohl innovative Produktionsmethoden als auch neueste Materialien eingesetzt. Wie sieht es aber mit dem ökologischen Fußabdruck einer solchen komplexen und verfahrenstechnisch sehr anspruchsvollen Anlage aus?

Extrusionslinien für Medizinkabel bestehen aus jeweils einer Ab- und einer Aufwickelmaschine (Konstantleistungsantriebe), bei denen aufgrund der sich stetig verändernden Wickeldurchmesser und -drehmomente eine große Varianz gegeben ist; denn Wickelmaschinen haben dieselbe Lastmomentcharakteristik wie Automobile. Dies gilt ebenso für den Extruderantrieb (Konstantmomentantrieb), bei dem aufgrund unterschiedlicher Scherfestigkeiten und der erforderlichen Temperaturen bei den eingesetzten Kunststoffen eine hohe Varianz gegeben ist. Der dritte Antrieb mit hoher Varianz ist der Positionierantrieb zur Lage-an-Lager-Wicklung des gefertigten Kabels auf der Spule. Hier ist die Spule am Anfang leer (Minimalgewicht) und am Ende voll gewickelt (Maximalgewicht). Zudem muss das Verhältnis des Trägheitsmoments der Positioniermaschine zum Trägheitsmoment des Antriebsmotors berücksichtigt werden, um eine gute Regelung beziehungsweise Steuerung zu gewährleisten, was zwangsweise zu einer Überdimensionierung führt. Außerdem müssen alle Antriebe ein hohes (Losbrech- /Anfahr-)Moment beim Start überwinden und sind daher von Haus aus entsprechend überdimensioniert.

Mechanisches stufenloses Getriebe
Das mechanische stufenlose Getriebe besteht im Prinzip aus zwei über Kreuz verschiebbaren Kegelscheibenpaaren, die sich auf parallel angeordneten Wellen (An- und Abtriebswelle) befinden. Sie sind verbunden durch eine starre, aber flexible/biegsame Kette oder einen Keilriemen. Die Stirnseiten der Kette beziehungsweise des Keilriemens greifen radial formschlüssig oder reibschlüssig in die Kegelscheiben hinein und übertragen auf diese Weise das Drehmoment. Je eine der Scheiben ist auf der jeweiligen Welle über Kreuz verschiebbar angeordnet. Über eine mechanisch, elektrisch oder hydraulisch verstellbare Wippe können die Abstände der Scheibenpaare stufenlos eingestellt werden, wodurch sich dann die starre, aber flexible/biegsame Kette beziehungsweise der Keilriemen entsprechend verschiebt. Dadurch ändern sich die wirksamen Übertragungsdurchmesser der Kegelscheibenpaare und damit das Übersetzungsverhältnis. Dieses Prinzip des mechanischen Einstellens/Verstellens des Übersetzungsverhältnisses mit all ihren Vor- und Nachteilen kann man bei einer herkömmlichen Fahrradschaltung beobachten.

Elektronisches stufenloses Antriebssystem
Ein elektronischer stufenloser Antrieb besteht aus einem Planetengetriebe, dessen Sonnenrad von einem Elektromotor und dessen Hohlrad von einem zweiten Elektromotor angetrieben wird, wobei der Abtrieb über die Lagerung der Planetenräder stattfindet. Den elektronischen Teil des Antriebssystems kennzeichnet eine Drehmomentausgleichsregelung, die eine spiel-, schlupf- und vibrationsfreie Lasttrum/Lostrum-Verbindung ermöglicht. Das Prinzip des elektronischen Einstellens/Verstellens des Übersetzungsverhältnisses kann man gut bei einer Hochgeschwindigkeitsumwickelanlage aus der Kabel- oder Drahtindustrie – in Zeitlupe und als drehzahl- und durchmesserveränderbarer Prozess – beobachten. Dort ist das Kabel oder der Draht das starre, aber flexible/biegsame Element. Alle in der Literatur und insbesondere in Automobilforen genannten Nachteile mechanischer stufenloser Getriebe entfallen auf diese Weise. Die Folge: Es sind keine hohen seitlichen Kräfte aufzubringen, es gibt keinen Verschleiß von Kette, Kegelscheibenpaaren und Achsen, da de facto nicht vorhanden, ergo auch keinen Gummibandeffekt beim Beschleunigen/Übersetzungswechsel etc.

Den ökologischen Fußabdruck einer Anlage optimieren Angesichts eines wachsenden Bewusstseins für Nachhaltigkeit und aufgrund in Zukunft noch steigender Anforderungen, insbesondere den Klimaschutz betreffend, verwundert es nicht, dass Industrieunternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes das Optimierungspotenzial ihrer Anlagen in regelmäßigen Abständen in puncto Nachhaltigkeit prüfen müssen. Wo aber konkret können sie hierbei ansetzen? Ein elektronisches stufenloses Antriebssystem ist ein erster Ansatz und bestens für Anwendungen mit einer großen Varianz geeignet, bei denen unterschiedliche Abtriebsdrehzahlen und -drehmomente auftreten: für Wickelmaschinen, Extruder, Pressen (Eilgang/Lastgang/Präzisionsgang), Fördermaschinen (viel Last/wenig Last/Leerlauf), Anwendungen, bei denen ein großes Losbrechmoment zu überwinden ist, und natürlich bei Automobilen. Gegenüber konventionellen Antriebssystemen lassen sich Energieeinsparungen von mehr als 40 % erreichen.

Das Potenzial ist riesig, vergleichbar mit dem des Schaltgetriebes in Zeiten von Industrie 2.0 und 3.0. Die Vorteile zusammengefasst:
 – Optimierung von Antriebsleistung bei einer motorisch betriebenen Anwendung (Aufwickler) und somit Minimierung der Energiekosten
 – Optimierung der Generatorleistung bei einer generatorisch betriebenen Anwendung (Abwickler) und somit Maximierung von Energieerträgen
 – Standardisierung der Antriebstechnik an einer einzelnen Maschine/Anlage, in einer Abteilung/im gesamten Werk/Unternehmen, in einer Branche, national und international
 – Standardisierung von neuen Dienstleistungen, Produkten und Geschäftsmodellen rund ums IoT-Thema „Vernetzung und digitale Transformation in der Antriebstechnik“
 – wertvoller Effizienzbeitrag zur Ressourcenschonung (Material- und Gewichtseinsparungen) und Dekarbonisierung (durch nicht mehr benötigte fossile bzw. künftig sauber produzierte grüne Energie)
 – Verbesserung der Norm DIN EN 61800-9-2 durch optimale Getriebeübersetzung

Der Autor des Beitrags Juan Carlos González Villar ist Inhaber der Firma Kabel.Consult.Ing.

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