21.06.21 – Niederschwelliger Einstieg in die digitale Produktion
Maschinendaten über Anschlusskabel abrufen
Ein Forschungsteam vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA hat ein kostengünstiges und einfach zu bedienendes Monitoringsystem entwickelt, das alten Bestandsmaschinen Daten entlockt. IT-Fachkenntnisse und Prozesswissen sind dafür nicht nötig.
Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) stehen noch am Anfang der Digitalisierung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Studierende der ESB Business School an der Hochschule Reutlingen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IPA erstellt haben. Sie hatten dazu zwischen Oktober 2018 und Januar 2019 insgesamt 23 Unternehmen aus verschiedenen Branchen des industriellen Mittelstands in Baden-Württemberg befragt. An diesem Befund hat sich seither nichts Grundlegendes geändert.
In der Tat sind viele der Maschinen in mechanischen Werkstätten oder der Produktion schon Jahrzehnte alt. Sie erfüllen bis heute zuverlässig ihren Zweck, verfügen aber über keine modernen Steuerungen und lassen sich untereinander auch nicht vernetzen. „Das Interesse an Industrie 4.0 ist aber vorhanden“, stellt Christoph Birenbaum, Gruppenleiter Fertigungssysteme Leichtbau am Fraunhofer IPA, fest. Was fehle, sei das Budget für umfangreiche Digitalisierungsmaßnahmen und das nötige Fachwissen. „Es braucht also eine kostengünstige und einfach zu bedienende Lösung, die Bestandsmaschinen schnell Daten entlockt, um die Einstiegshürden für die Digitalisierung massiv zu senken.“
Schon Basisfunktionen ermöglichen neue Geschäftsmodelle
Genau die hat ein Forschungsteam um Birenbaum nun entwickelt. Ein berührungsloser Wechselstrom-Messwandler nutzt die Stromzufuhr, um grundlegende Maschinendaten abzurufen, hinterlegt sie in einer Cloud und stellt sie in Form von einfach verständlichen, auf Minimalfunktionen reduzierten Graphiken in einer App dar. Daraus lässt sich zunächst einmal ablesen, ob eine Maschine störungsfrei läuft. Kurvenverläufe zeigen zudem an, welche Kräfte wirken, während die Maschine ein Werkstück bearbeitet.
Darüber hinaus bietet das System nach einer kurzen Einlernphase die Möglichkeit, eine einfache Prozessüberwachung durchzuführen und zu erfassen, ob beispielsweise Zerspanungswerkzeuge neuwertig, schon etwas verbraucht oder verschlissen sind. Bei dieser Frage haben sich bisher viele Maschinenbediener auf ihr Gehör oder andere Erfahrungswerte verlassen. Jetzt zeigt ihnen die App an, wann es Zeit ist, Verschleißteile wie Bohrer, Fräsen oder Sägeblätter auszutauschen. „Solche Basisfunktionen genügen schon, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und KMU einen ersten einfachen Einstieg in die Digitalisierung zu erlauben“, sagt Birenbaum. Hersteller von Werkzeugmaschinen könnten so zum Dienstleister werden und ihren Kunden vorausschauende Wartungsarbeiten anbieten.
Kein Fachwissen erforderlich
Im Gegensatz zu bestehenden Retrofit-Lösungen setzt der Ansatz von Birenbaum und seinem Team weder IT-Fachkenntnisse noch Prozesswissen voraus. Und kostengünstig zu haben wird das Monitoringsystem samt Software und schlicht gehaltener Benutzeroberfläche obendrein auch noch sein. Der Forscher schätzt, dass es dereinst schon für rund 150 Euro zu haben sein könnte.
Noch allerdings existiert das Retrofit-Monitoringsystem nur als Prototyp. Er wird derzeit in einem Entwicklungsprojekt zusammen mit einem Partner weiter vorangetrieben. Dabei wird unter anderem die Software um Elemente der Künstlichen Intelligenz ergänzt.
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Nobelstraße 12, 70569 Stuttgart
Ansprechpartner ist Christoph Birenbaum
Tel.: +49 711 970-1536