23.08.24 – Wie künstliche Intelligenz die industrielle Arbeit optimieren kann
KI und Mensch als Team
Für die industrielle Arbeit besteht in der Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) ein gigantisches wirtschaftliches Potenzial. Durch verschiedene Handlungsfelder und Gestaltungsmöglichkeiten können etwa die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch die Aufwertung industrieller Arbeitsplätze erreicht werden.
Über die konkreten Chancen und Auswirkungen von KI auf industrielle Arbeitsprozesse und notwendige Maßnahmen spricht Angelika Bullinger-Hoffmann im Interview. Sie ist Mitglied im von acatech koordinierten Forschungsbeirat Industrie 4.0 und leitet seit 2012 die Professur für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement an der Fakultät für Maschinenbau der TU Chemnitz.
DRAHT: Frau Bullinger-Hoffmann, welche konkreten Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf industrielle Arbeitsprozesse sehen Sie und welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Angelika Bullinger-Hoffmann: Die Auswirkungen von KI auf industrielle Arbeitsprozesse lassen sich in vier Entwicklungsszenarien einordnen: Substitution menschlicher Arbeit, die Polarisierung sowie die Anreicherung von menschlichen Tätigkeiten und schließlich die Innovation. Bei der Substitution geht es darum, dass KI menschliche Arbeit ersetzen kann, beispielsweise beim Verfassen von stark standardisierten Texten wie Werbetexten für neue Produktgenerationen. Der Anteil dieser Tätigkeiten ist insbesondere in der Industrie sehr gering. Eine Polarisierung tritt zum Beispiel dann auf, wenn hochqualifizierte Mitarbeitende ein Sprachmodell trainieren, mit dessen Unterstützung dann weniger qualifizierte Mitarbeiter im Kundenservice für Fertigungsmaschinen tätig werden und vergleichbar kompetent auftreten. In der industriellen Fertigung ist vor allem mit einer Anreicherung von menschlicher Tätigkeit zu rechnen. Man denke sich etwa eine KI, die einer Arbeitsplanerin verschiedene technisch mögliche und in Echtzeit bewertete Handlungsoptionen präsentiert, die die Planerin aufgrund ihrer Erfahrung abwägt und die beste auswählt. Nicht zu vergessen ist, dass durch den Einsatz von KI gänzlich neue, bisher in der industriellen Arbeit kaum oder wenig benötigte Jobprofile entstehen oder stärker nachgefragt werden. So wird es zukünftig etwa Fachleute brauchen, die Data-Analytics-Plattformen aufbauen und betreuen könnten, oder KI-Robotiker, die von Anfang an die Schnittstelle zwischen Mensch, Roboter und KI humanzentriert gestalten.
DRAHT: Welche Maßnahmen der Arbeitsgestaltung müssen umgesetzt werden, um die Integration von künstlicher Intelligenz in industrielle Arbeitsumgebungen zu erleichtern und dabei die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter zu verbessern?
Angelika Bullinger-Hoffmann: Damit KI in industriellen Arbeitsprozessen von den Mitarbeitenden akzeptiert wird, ist neben einem frühzeitigen Einbezug der späteren Nutzer die wahrgenommene Handlungsfreiheit von großer Bedeutung. Fühlen sich die Menschen von der KI bevormundet, wird diese nicht mehr als unterstützendes, sondern als einschränkendes Element wahrgenommen. Dabei ist es Aufgabe der Führungsebene, KI-Entwicklung und -Einsatz von Anfang an mit den späteren Nutzenden zu diskutieren und gemeinschaftlich Lösungen zu finden. Dies erfordert Engagement: Gerade wenn es um Weiterbildung geht, kommt es in kleinen und mittleren Unternehmen schnell zu Engpässen. Daher sind auch zum Beispiel Hochschulen gefragt, die Angebote zum humanzentrierten KI-Einsatz entwickeln. Diese sollten neben den technischen Lösungen und Empfehlungen zur gemeinschaftlichen Umsetzung auch einfache Befähigungskonzepte für die KMU enthalten.
DRAHT: Angesichts des Klimawandels und der steigenden Energie- und Ressourcenknappheit steht die Industrie unter wachsendem Druck, sich rasch in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln. Wie können die Potenziale von Industrie 4.0 genutzt werden, um eine ökologisch nachhaltige Wertschöpfung der industriellen Arbeit zu erreichen? Welche Rolle spielt hierbei künstliche Intelligenz?
Angelika Bullinger-Hoffmann: Die unter Industrie 4.0 zusammengefassten Technologien ermöglichen u. a. eine Echtzeitüberwachung und -steuerung von Produktionsanlagen. Durch die kontinuierliche Optimierung von Prozessen können Energieverluste minimiert und der Materialverbrauch reduziert werden. Auch Lieferprozesse können durch die datenbasierte Vernetzung mit weniger Emissionen gestaltet werden, bis hin zu einer Kreislaufwirtschaft, bei der Abfälle des einen Produzenten als Input für eine andere Fertigung dienen. KI beschleunigt diesen Vorgang weiter, weil sie die kontinuierliche Optimierung auf Basis maschinellen Lernens ermöglichen kann.
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Über den Forschungsbeirat Industrie 4.0
Der Forschungsbeirat Industrie 4.0 trägt als strategisches und unabhängiges Gremium wesentlich dazu bei, forschungsbasierte Lösungswege für die Weiterentwicklung und Umsetzung von Industrie 4.0 aufzuzeigen und somit Orientierung zu geben – mit dem übergeordneten Ziel, das deutsche Innovationssystem und die Wertschöpfung zu stärken. Dafür kommen im Forschungsbeirat aktuell 31 Vertreter aus Wissenschaft und Industrie mit ihrem interdisziplinären Expertenwissen zusammen, formulieren neue, vorwettbewerblich beantwortbare Forschungsimpulse bzw. -bedarfe, zeigen mittel- bis langfristige Entwicklungsperspektiven auf und leiten Handlungsoptionen für die erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 ab. Die Forschung im Bereich Industrie 4.0 fokussiert sich dabei verstärkt auf Themen wie Nachhaltigkeit, Resilienz, Interoperabilität, technologische bzw. strategische Souveränität und die zentrale Rolle des Menschen. Die Arbeit des Forschungsbeirats wird von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften koordiniert, vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.