12.05.25 – Digitalisierte Produktion

Industrie 4.0: Die hausgemachte Revolution

Schlanke Fertigung, gestiegene Wettbewerbsfähigkeit: Olaf Ambros und Maximilian Korte* geben in diesem Artikel einen persönlichen Einblick, wie Baier & Michels (b&m), Spezialist für Kaltmassivumformung aus Ober-Ramstadt und Mitglied der Würth-Gruppe, mit einem selbst programmierten Manufacturing Execution System (MES) punktet.

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Status im Blick: Die Maschinenübersicht informiert jederzeit vollumfänglich über den Stand der Fertigung – ob Taktzeiten, Maschinenstillstände oder Fehlerquote. © b&m

 
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Auftragsinformationen direkt an der Maschine: Das Cockpit bietet eine Einsicht in Aspekte wie Produktionszeichnungen, Stücklisten und Werkzeugpläne. © b&m

 
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Die industrielle Produktion wird zunehmend komplexer. Die Margen sinken, die regulatorischen Hürden wachsen und die Kundenbedürfnisse ändern sich schnell. Daher ist es entscheidend, Prozesse durch Digitalisierung effizienter und flexibler zu machen. b&m begegnet dieser Herausforderung nicht mit den marktüblichen Standardlösungen. Stattdessen hat b&m Eigenregie ein vollständig integriertes MES entwickelt, das sich spezifisch an den Bedürfnissen orientiert – und sämtliche Produktionsprozesse steuert. Dabei sind viele bestehende Systeme und bisherige Insellösungen über einen eigenen Server nahtlos eingebunden.

Daten aus der Betriebsdatenerfassung (BDE-System), dem Enterprise Resource Planning (ERP-System), der Computer-Aided Quality (CAQ-System), den Produktionsgeräten (Shopfloor-Devices) und dem Werkzeug-Liftsystem fließen zusammen. Eigene Algorithmen überwachen sie, was dem Unternehmen die volle Kontrolle gibt und unabhängig von Drittanbietern macht. Hinzu kommt, dass die eigene Software erhebliche Kostenersparnisse durch eine massive Reduzierung von Lizenzgebühren erzielt. Darüber hinaus ermöglicht der direkte und schnelle Zugriff auf die Inhouse-Entwickler schnellen Support und kontinuierliche Systemverbesserungen. Nachfolgend werden hier drei Anwendungsbereiche unserer Software und deren Nutzen ausführlicher vorgestellt:

1. Dynamische Produktionslenkung

Das MES zieht in Echtzeit Daten aus Kunden-Lieferabrufen und Forecasts. Durch den Abgleich mit laufenden Aufträgen und Maschinenstati wird die aktuelle Reichweite aller Mengen in den Produktionsstufen stets dynamisch berechnet. Die Produktionsleitung bleibt somit stets über den Stand der Fertigung informiert und kann die Auswirkung der eingestellten Maschinengeschwindigkeit und -stillstände auf die Liefertermine genau abschätzen. Dies sorgt zudem für eine schlanke Lagerhaltung bei ausreichenden Sicherheitsbestände der Fertigprodukte. Automatisches Tracking, vorausschauende Bedarfsprognosen sowie die Verwiegung und Plausibilitätsprüfung der hergestellten Mengen sorgen für eine effiziente Produktionssteuerung.

2. Papierlose Fertigung

Sämtliche relevanten Daten für einen Produktionsauftrag werden automatisch bereitgestellt. Produktionszeichnungen, Stücklisten, Werkzeugpläne, Montageanweisungen und Fehlerbilder stehen auf Tablets an den Maschinen zur Verfügung. Das CAQ-System der Qualitätskontrolle erfasst automatisch Einricht- und Freigabeprüfstati sowie alle historischen Werte der SPC-Prüfungen. Das MES zeigt diese Daten direkt an der Maschine als Qualitätsregelkarte an. Dies ermöglicht es den Maschinenbedienern und der Produktionsleitung, Abweichungen von der Toleranzmitte schnell zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Interessanter Fakt: Die Entwicklung entstand in enger Abstimmung mit den Kollegen der Produktion, sodass die Bedienung für die Mitarbeitenden sehr intuitiv ist und eine hohe Akzeptanz genießt.

3. Smartes Werkzeugmanagement

Die digitale Vernetzung erstreckt sich auch auf das Werkzeugmanagement. Das BDE-System erfasst Gut- und Schlechtmengen. Das digitale Werkzeug-Liftsystem trackt in Echtzeit jede Lagerbewegung und ordnet Entnahmen und Verschleiß direkt dem laufenden Produktionsauftrag zu. Diese Daten sind die Basis der automatischen Standzeitberechnung aller Werkzeuge. Zusammen mit der Planung aus der dynamischen Produktionslenkung werden so die Werkzeugbestellmengen berechnet und die Sicherheitsbestände optimiert – bei gewährleisteter Werkzeugverfügbarkeit.

Für die Kollegen in der Produktion bedeutet das ein unkompliziertes Beziehen von Werkzeugersatzteilen. Die Verknüpfung der aktuellen Aufträge und Stücklisten ermöglicht es, die benötigten Werkzeuge direkt am Werkzeug-Liftsystem auszuwählen und automatisch ausgeben zu lassen. Das im Hintergrund arbeitende System garantiert, dass das benötigte Ersatzteil immer vorhanden ist.

Entlastet enorm die Fachkräfte

Besonders bemerkenswert an der digitalen Transformation bei b&m ist: Trotz einer Verachtfachung der Produktionsmenge in den vergangenen Jahren konnte die Arbeitsvorbereitung mit der bestehenden Belegschaft bewältigt werden. Die Digitalisierung entlastet die Beschäftigten und erleichtert ihnen, sich auf qualifizierte Tätigkeiten zu konzentrieren. Künftig spielt dieser Umstand eine noch größere Rolle.

Noch in diesem Jahr geht in Ober-Ramstadt die neue b&m-Produktionsstätte in Betrieb. Die Erweiterung des Werks ermöglicht enorme Kapazitätserhöhungen für metallische Umformteile, die nach dem proprietären Verfahren b&m-EccoTec (Ecological Coldforming Technology) entstehen. Durch die Kombination von zwei Kaltumformungsprozessen lassen sich klassische Langdrehteile mit komplexen Profilen, die bislang nur spanend produziert werden konnten, nun spanlos herstellen – bis zu zehnmal schneller, deutlich ressourcenschonender und dabei einbaufertig.

Ausblick: 125 Tonnen und KI

Zum Einsatz kommen dabei bis zu 125 Tonnen schwere Maschinen, die mit einem selbstlernenden Regelungssystem ausgestattet sind. Bei diesen gigantischen Dimensionen sind KI-Features der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit. Im Fokus stehen unter anderem eine präzise und effizient ausgeführte Kraftüberwachung, Inline-Messungen mit 0,01 mm Genauigkeit und ein Hochleistungs-Stellsystem. Die Digitalisierung avanciert somit zu einem zentralen und unverzichtbaren Erfolgsfaktor für b&m.

*Autoreninfo:

Olaf Ambros ist Mitglied der Geschäftsleitung sowie Leiter Technik und Entwicklung bei b&m; Maximilian Korte begleitet die Digitalisierung in der Fertigung als Entwicklungsingenieur.