05.09.22 – BDI-Präsident Siegfried Russwurm
Erhebliche Mängel und Lücken im Entlastungspaket
„Der Koalitionsausschuss hat ein großvolumiges Entlastungspaket beschlossen, das überwiegend auf private Haushalte abzielt. Die Wirtschaft erkennt das Bestreben der Bundesregierung an, den Bürgerinnen und Bürgern rasch und zielorientiert zu helfen, sieht aber erhebliche Mängel und Lücken im Entlastungspaket der Koalition.
Aus Sicht der Wirtschaft sind die vorgestellten Maßnahmen enttäuschend und unkonkret. Immer mehr Betriebe und Unternehmen sind angesichts explodierender Gas- und Strompreise existentiell bedroht. Die Industrie erwartet von der Bundesregierung, die Belange und praktischen Erfordernisse der Unternehmen stärker in ihr laufendes Krisenmanagement einzubeziehen und den Industriestandort mit aller Kraft zu schützen. Die Brisanz der Situation erfordert für die am stärksten betroffenen Unternehmen sehr schnell wirkende Maßnahmen und unkomplizierten Zugang zu angemessenen Hilfsleistungen über die jetzt angekündigte Verlängerung des Spitzenausgleichs für energieintensive Unternehmen hinaus. Eine staatliche Ko-Finanzierung der Strom-Übertragungsnetzentgelte wäre dafür ein zielgerichteter Ansatzpunkt.
Die Dramatik beim Strompreis verlangt, dass vorübergehend wirklich alles, was geht, schnell wieder Strom produziert. Das kommt privaten und gewerblichen Verbrauchern gleichermaßen zugute. Essenziell sind sofortige Entscheidungen und praktische Schritte für eine möglichst große Verbreiterung des Stromangebots durch den schnellen Hochlauf von Stein- und Braunkohlekraftwerken, die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke und die maximale Nutzung der Potenziale erneuerbarer Energien. Die tatsächliche Umsetzung längst getroffener Entscheidungen und die Lösung konkreter Probleme wie bei der Kohlelogistik dürfen sich nicht noch weiter verzögern, damit eine stabile Versorgung über Herbst und Winter gewährleistet ist.
Die Industrie begrüßt die Ankündigungen der Bundesregierung, bevorzugt auf EU-Ebene Initiativen zur Dämpfung des drastischen Strompreisanstiegs zu ergreifen und dabei möglichst bald zu wirksamen Entscheidungen zu kommen. Die Industrie bietet ausdrücklich an, im Vorfeld ihre Expertise für Lösungen einzubringen. Wichtig sind eine Eingrenzung des Strompreisanstiegs und zugleich effektive Marktsignale für den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren sowie die Versorgungssicherheit.
Unverständlich viel Zeit wurde bisher durch fehlende Rechtssicherheit für den sogenannten Fuel-Switch, den befristeten Wechsel von Gas auf Öl in Betrieben, verloren. Gerade viele Mittelständler wollen und können ihre Produktion vorübergehend ohne Gas aufrechterhalten, ihren Gasbedarf senken und zugleich mehr Versorgungssicherheit für sich selbst und für ihre Kunden gewinnen. Es braucht eine deutliche Beschleunigung bei allen relevanten Genehmigungen und viel schnellere Entscheidungen der Behörden vor Ort.
Die Bundesregierung muss verbindlich klarstellen, dass jetzige Einsparungen von Gas in den Unternehmen im Falle einer Gasmangellage auf Belieferungsreduzierungen angerechnet werden. Für rasche Einspareffekte wäre es kontraproduktiv, wenn diejenigen, die ihren Gasverbrauch jetzt bereits reduzieren, im Falle einer Gasmangellage dafür faktisch bestraft würden.“