26.04.21 – Wenn ein schwäbisches Netzwerk elektrifiziert
Neue Allianz für Elektromobilität
Die mittelständischen Maschinenbauer Gehring und Wafios bündeln ihr Know-how, um gemeinsam der weltweiten Automobilindustrie komplette Turnkey-Fertigungslinien für Hairpin-Statoren anzubieten.
Der erste Schritt zum neuen, mittelständischen Netzwerk geschah bereits im November 2020, als die familiengeführte Nagel Gruppe aus Nürtingen den Anlagen- und Maschinenhersteller Gehring im benachbarten Ostfildern übernahm und so seine Rolle als Technologiepartner für Produktionssysteme für Elektromobilität weiter stärkte. Der nächste wichtige Schritt ist nun die intensive Kooperation mit dem Umformspezialisten Wafios aus dem benachbarten Reutlingen.
Elektromobiles Netzwerk in Schwaben
So entsteht im Großraum Stuttgart, einem der wichtigsten Standorte der Automobilbranche in Deutschland, ein Verbund von zwei starken Mittelständlern mit insgesamt fast 3000 Mitarbeitern. Gemeinsam werden Gehring und Wafios Statormontagelinien für alle wichtigen Automobilstandorte weltweit von der Idee bis zur Inbetriebnahme realisieren.
„Wafios und Gehring formen einen Verbund, mit dem wir schlagkräftig bei Fertigungssystemen für die Statorenproduktion am Markt auftreten können“, erklärt Dr. Wolfram Lohse, CTO bei Gehring. „Die Kooperation kann die gesamte Prozesskette effizienter aufbauen, weil wir die Technologien übergreifend betrachten und uns nicht nur auf Einzelprozesse konzentrieren.“ Die Kooperation bietet also alles aus einer Hand – von der Prototypenfertigung bis hin zu Anlagen für die Serienproduktion. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der OEM hat für die gesamte Prozesskette nur einen Ansprechpartner.
„Der größte Profiteur ist der Automobilhersteller. Er profitiert von unserem umfangreichen, jahrelang erarbeiteten Know-how, das alle unnötigen Schnittstellen und Reibungspunkte von Einzellösungen beseitigt“, erklärt Tobias Single, Leiter E-Mobility bei Wafios. „Wir entwickeln gemeinsam schnell und kundengerecht sichere Prozesse. Jeder von uns steuert dabei das Know-how rund um seine Kerntechnologien bei.“ Die Kooperation bündelt die jahrzehntelange Erfahrung von Gehring bei der Auslegung von Anlagen für die automobile Serienfertigung und die Technologieführerschaft von Wafios im Bereich der Richttechnologie und Drahtumformung, die insbesondere für die Fertigung der Hairpins sehr wichtig ist.
Hohes Tempo in der E-Motoren-Produktion: Herausforderung für das Drahtbiegen
Das schnelle Tempo der Großserie-Produktion, bei der im Takt unter einer Minute E-Motoren entstehen, ist eine hohe Herausforderung für die Statorfertigung und seine sehr komplexen Drahtbiegeprozesse. Single: „Wir beherrschen diese Komplexität und können auf der soliden Basis des vorhandenen Know-hows effiziente, prozessfähige und zukunftssichere Gesamtlösungen anbieten. Hinzu kommt: Der Biegeprozess trägt erheblich zur Qualität bei. Alles, was ich zu Beginn richtig oder falsch mache, erleichtert bzw. erschwert die weiteren Prozesse.“ Hier kommt mit Wafios der richtige Partner bei Gehring ins Boot, denn die Biegemaschine „FMU E“ hat sich bereits in der Automobilbranche vielfach in der Kleinserienfertigung von Hairpins bewährt.
Doch es geht nicht nur um die Überführung vorhandener Technologie in die Massenproduktion. Die Kooperation geht auch neue Entwicklungen an, um die Leistungsfähigkeit und den Wirkungsgrad der Elektromotoren zu verbessern. Hier kommt ein dritter Partner ins Spiel.
PUR-Gießharz senkt Wärmeverluste und steigert E-Motor-Leistung
Die Rede ist vom Start-up-Unternehmen Copaltec, das als Partner der Nagel Gruppe spezielle Gießharze auf Polyurethan (PUR)-Basis entwickelt. Die Harze werden mit einem Vakuumverfahren in Motoren eingebracht, um diesen vor externen Einflüssen sowie Überhitzung zu schützen. „Es kann die Leistung von Elektromotoren um bis zu 20 % steigern“, meint Jochen Nahl, beratender Ingenieur bei Copaltec. „Unser Harz auf PUR-Basis besitzt eine hohe Wärmeleitfähigkeit. Die bisher eingesetzten Vergussmassen dienen zur Isolierung, zum Verkleben von Zellen und Magneten und als „Gapfiller“, also zum Füllen von Spalten. Deshalb erhitzen sich Batterie und Elektromotor: Sie müssen aktiv gekühlt werden.“ Das Start-up setzt auf das Prinzip „Einbringen von Wärmeleitfähigkeit über Vergussmasse“, das die notwendige Kühlleistung erheblich senkt, den E-Motor auf niedrigerem Temperaturniveau hält und auf der anderen Seite die Leistung steigert. Gemeinsam mit Gehring erarbeitet Copaltec nun Maschinenlösungen für die Industrialisierung im elektrischen Antriebsstrang.
Skalierbar und modular: Bei Bedarf „wächst“ die Anlage mit
Das neue mittelständische Netzwerk kann nun alle wichtigen Kerntechnologien – vom Biegen bis hin zum Imprägnieren bzw. dem abschließenden Vergießen mit Copaltec-Harz – anbieten. „Wir entwickeln gemeinsam skalierbare und modulare Lösungen, die sich an der Produktionsphilosophie unserer Kunden orientieren“, so Bernd Nagel, Geschäftsführer von Nagel und der neu erworbenen Gehring-Gruppe.
„Als Systemausrüster integrieren wir die jeweils erforderliche Fördertechnik und Automatisierung von Zulieferern. So ergibt eine Vollverkettung bei einer jährlichen Losgröße von maximal 50 000 beispielsweise in der Regel keinen Sinn.“ Dank der Skalierbarkeit kann aber eine ursprünglich für die Kleinserie ausgelegte Anlage bei Bedarf auch Richtung Großserie „wachsen“.
Reibungsloser Übergang von der Stator-Prototypenfertigung in die Serienproduktion
„Dank der Kooperation stimmen die Partner alle Verfahren prozessübergreifenden ab und verbessern so den gesamten Herstellprozess ganzheitlich über die gesamte Technologiekette“, betont Dr. Uwe-Peter Weigmann, Vorstandsvorsitzender von Wafios.
Das technische Risiko beim Know-how-Übertrag von der Klein- auf die Großserie verringert sich dank des engen Brückenschlags von der Musterfertigung bei Wafios und Gehring hin zu kompletten Serienanlagen. Doch die Kooperation endet nicht mit der Auslieferung: Die Kombination der beiden langjährig im Praxiseinsatz erprobten Servicenetzwerke sorgt für raschen Support in allen wichtigen Ländern.
Doch da auch elektromobile Theorie grau ist, bietet der neue Musterbau im Gehring-Stammwerk in Ostfildern farbige Praxis: Dort stehen komplette Anlagen zur Produktion von Hairpin-Statoren und Elektromotoren. Gemeinsam mit den Kunden entwickeln die Partner des Netzwerks auf dieser Basis maßgeschneiderte Anlagen für die jeweiligen Einzeltechnologien wie Drahtbiegen oder Hairpin-Setzen.
Gehring Technologies GmbH+Co. KG
Gehringstraße 28, 73760 Ostfildern
Ansprechpartner ist Nicolas Karagiozidis
Tel.: +49 711 3405-0
nicolas.karagiozidis@gehring-group.com
Wafios AG
Silberburgstraße 5, 72764 Reutlingen
Tel.: +49 7121 146-0
sales@wafios.de
Gehring
Das Unternehmen ist ein anerkannter Lieferant von Komplettsystemen, der als erfahrener Partner der Automobilindustrie umfangreiches Wissen in den unterschiedlichen Kerntechnologien der Statorenproduktion aufgebaut hat. Die Bandbreite reicht von maßgeschneiderten Maschinenlösungen für den Statormusterbau über Anlagen für die Kleinserienproduktion bis hin zu vollautomatisierten Systemlösungen für Statorfertigungslinien. Das digitale Vernetzen übernimmt die IoT-Plattform Gehring-Core, deren Cloud-Daten helfen, die Suche nach Fehlern zu vereinfachen und Produktivitätspotenziale aufzuzeigen.
Für Gehring spricht die umfangreiche Expertise im kundenangepassten Entwickeln und Herstellen von Fertigungsmaschinen. So zeichnet die SNT-Maschinenbaureihe aus, dass sie hochproduktive Setzverfahren für unterschiedliche Hairpin-Wicklungen abdeckt, die nahtlos an die Wafios Speedformer anschließen. Die redundant ausgelegten Stränge mit Pin-Produktion, Pin-Setzen und Einbringen des erzeugten Drahtkorbs steigern die technische Verfügbarkeit und sorgen für eine skalierbare Einrüstung. Ein intelligentes Puffersystem zwischen Wafios Speedformer und Gehring SNT-Maschinen ermöglicht einen robusten Übergang zwischen diesen Operationen.
Eine wichtige Rolle spielt auch das Gehring-Know-how bei den Fügeprozesse zur Hairpin-Statorproduktion: Das Unternehmen maximiert die Auslastung der energie- und kostenintensiven Laserquellen, in dem es unproduktive Nebenzeiten in separate Stationen vor der Schweißkammer auslagert. Das senkt die Anzahl an Schweißmaschinen und den Investmentaufwand; es führt außerdem zu einem geringerem Flächenbedarf. Auch in der Imprägnier- und Isolationstechnik erreicht Gehring durch die geschickte Kombination von Erwärmungsverfahren hochgradig wirtschaftliche Anlagen, die gleichzeitig für eine „Losgröße-1“-Produktion geeignet sind.
Über die enge Abstimmung zwischen Gehring und Wafios werden alle Prozesse in dieser Kette künftig gemeinsam hinsichtlich globaler Optima im Sinne der Kunden vorangetrieben.
Wafios
Das Unternehmen verfügt über langjähriges Know-how im Umformen von Kupferdraht zu Steckspulen, den sogenannten Hairpins, einer auf Flachdraht basierenden Alternative zu klassischen Runddrahtwicklungen. Die Hairpin-Biegetechnologie wurde mit Blick auf reibungslose Folgeprozesse für Prototypen, Klein- und Großserien entwickelt. Mit dieser neuartigen Technologie lassen sich die Hairpin-Beine als eines der wesentlichsten Qualitätsmerkmale hochpräzise positionieren. Eine sehr wichtige Rolle spielt das Know-how beim Biegen von beschichten Stromleitern, bei denen es auf das Zusammenspiel von Drähten und Isolierschicht ankommt. Die Biegetechnik hat sich bereits in der Automobilbranche mehrfach in der Kleinserienfertigung von Hairpins bewährt. Die hier gewonnenen Erfahrungen lassen sich jetzt eins zu eins auf die Serienfertigung mit ihren extrem kurzen Taktzeiten nahe einer Sekunde übertragen.
Damit in der schnellen Großserienproduktion die Qualität stimmt, überprüft eine intelligente Kamera während des Biegens typische Geometriemerkmale, wie z. B. die Schenkelstellung, und sorgt bei Abweichungen für eine automatische Kompensation. Diese optische In-Prozess-Überwachung ermöglicht es dem Wafios Speedformer außerdem, jederzeit auf veränderte Randbedingungen wie eine schwankende Drahtqualität zu reagieren.
Eine sehr wichtige Rolle spielen beim Biegen die Werkzeuge. Wafios setzt auf weitestgehend von der Geometrie unabhängige Werkzeuge, denn mit ihnen lassen sich komplette Pin-Sätze für mehrere Statorvarianten inklusive Sonder- und Phasenableiter-Pins ohne Werkzeugwechsel auf einer Anlage herstellen. Für diese Lösung sprechen zwei Pluspunkte: Kunden erhalten eine Produktion mit maximaler Verfügbarkeit und sie können auf sich verändernde Abrufzahlen und Geometrien flexibel reagieren.
Gehring
Mit über 90-jähriger Erfahrung entwickelt Gehring unter anderem Technologien für hocheffiziente konventionelle und elektrifizierte Antriebsstränge. Mit den Prozessen Laseraufrauen, Beschichten und Honen bietet das Unternehmen innovative Lösungen für Verbrennungsmotoren als Antwort auf aktuelle Anforderungen der Automobilindustrie. Die Produktionstechnologie für den Elektromotor ergänzt das Portfolio und setzt wegweisende Zeichen für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens. Als weltweites Unternehmen ist die Gehring Gruppe in Schlüsselmärkten der Automobil- und Zulieferindustrie, Hydraulik und Pneumatik sowie der Luft- und Raumfahrttechnik global vertreten.
Wafios
Die Wafios AG, Reutlingen, zählt mit rund 1100 Mitarbeitern weltweit zu den führenden Unternehmen des Spezialmaschinenbaus. Sie entwickelt, konstruiert und fertigt technisch anspruchsvolle Maschinen für die draht- und rohrverarbeitende Industrie sowie für die Kaltmassivumformung.
Copaltec
Die Copaltec GmbH aus Böblingen hat sich seit der Gründung 2012 einen Namen gemacht als Innovationsführerin von wärmeleitfähigen Vergussmassen auf Polyurethan-Basis (PUR), die Batterien, Elektromotoren und elektrische Komponenten vor externen Einflüssen und Überhitzung schützen.
Nagel
Die Nagel Holding GmbH+Co. KG. in Nürtingen hat 1850 Mitarbeiter und ist an 26 Standorten vertreten. Zur Unternehmensgruppe gehört seit November 2020 die Gehring-Gruppe aus Ostfildern, ein Weltmarktführer für Feinbearbeitung und Spezialist für Statormontagelinien.