27.01.21 – Lebensdauerverhalten von Seildrähten

Umlaufbiegewechselzahl von verdichteten Seildrähten

Umlaufbiegeversuche sind ein hervorragendes Mittel um das Lebensdauerverhalten von Seildrähten zu bestimmen. Das Lebensdauerverhalten von unverseilten Seildrähten ist ausgiebig erforscht. Verseilte Drähte können ebenfalls einer Umlaufbiegeprüfung unterworfen werden. Sie müssen allerdings vor dem Versuch aufwändig gerichtet werden. Verseilte Drähte sind deshalb bisher kaum geprüft worden.

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Abb. 1: Drahtumlaufbiegemaschine vom Typ IFT-Stuttgart [4]. © OTH Regensburg

 
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Abb. 2: Parallele Ausgleichsgeraden für die unverseilte, die verseilte und die gehämmerte Form des Drahts 4. © OTH Regensburg

 

Noch kritischer ist es bei verdichteten Drähten, da ihre Querschnittsflächen nicht mehr kreisrund, sondern sektorförmig verformt sind. Verdichtete Drähte können trotzdem einer Umlaufbiegeprüfung unterworfen werden. Damit kann das Lebensdauerverhalten von unverseilten, verseilten und verdichteten Drähten geprüft und miteinander verglichen werden.

Einleitung
Die Qualität von Seildrähten wird durch standardisierte Versuche geprüft. Im Teil 1 der DIN EN 10264 [1] sind die durchzuführenden Versuche und im Teil 2 dieser Norm [2] die einzuhaltenden Grenzwerte genannt. Diese Versuche liefern aber keine Aussage über das Lebensdauerverhalten der Drähte bzw. über die Betriebszeit der Drähte im Seil. Mit Umlaufbiegeversuchen kann das Lebensdauerverhalten von Seildrähten einfach und schnell ermittelt werden. Zudem können die Ergebnisse von Umlaufbiegeversuchen mit Seildrähten auch auf das Lebensdauerverhalten von Seilen übertragen werden [3].

Umlaufbiegeprüfung
Bei der Umlaufbiegeprüfung wird der Seildraht einer einachsigen wechselnden Biegespannung unterworfen. Werden Versuche durchgeführt, bei denen die Biegespannung in sehr weiten Grenzen variiert wird, bilden die Versuchsergebnisse die so genannte Wöhler-Kurve des Drahtes ab, also die Kurve, die das dynamische Verhalten beschreibt. Die Biegespannung wird aber zweckmäßigerweise so eingestellt, dass der Draht im so genannten Zeitfestigkeitsbereich beansprucht wird. Dies ist der Lastbereich, dem die Seildrähte im praktischen Betrieb ausgesetzt sind und bei dem sie durch Materialermüdung versagen. Versuche im Zeitfestigkeitsbereich haben zudem den Vorteil, dass die Versuchsdauer relativ kurz ist.

Zur Ermittlung der Umlaufbiegewechselzahl stehen unterschiedliche Prüfmaschinen zur Verfügung. Sie sind ausreichend dokumentiert, zuletzt bei Wolf [4]. Als die am besten geeignete Prüfmaschine erscheint die Maschine „IFT-Stuttgart“, weil auf einer sehr großen Biegelänge nahezu die maximale Biegespannung wirkt und Einspannbrüche weitgehend vermieden werden. Aufbau und Wirkungsweise dieser Maschine sind in [4] und [5] beschrieben. Abbildung 1 zeigt den prinzipiellen Aufbau der Prüfmaschine vom Typ IFT-Stuttgart.

Die bisher umfangsreichsten Untersuchungen über die Umlaufbiegewechselzahl von Seildrähten im Zeitfestigkeitsbereich sind in [6] dokumentiert. Ziegler [3] kam in seiner Auswertung auf vergleichbare Ergebnisse.

Prüfmuster
Die untersuchten Drahtmuster sind jeweils Außendrähte von Außenlitzen verschiedener litzenverdichteter oder gehämmerter Seilkonstruktionen. Außer den Seilmustern liegen die Außenlitzen in unverdichteter Form und die Außendrähte in unverseilter Form vor. Jeder Draht liegt also in unverseilter, in verseilter und in verdichteter Form vor. Die Drahtmuster sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Tabelle 1: Drahtmuster

Draht 1

Draht 2

Draht 3

Draht 4

Drahtdurchmesser

1,30 mm

1,30 mm

1,20 mm

1,13 mm

Drahtnennfestigkeit

2060 N/mm²

1960 N/mm²

1960 N/mm²

2060 N/mm²

Drahtoberfläche

blank

blank

blank

blank

Außenlitze

1+6

1+6

Warr.-Seale

Warr.-Seale

Seil

17-litzig litzenverdichtet

16-litzig gehämmert

8-litzig gehämmert

8-litzig gehämmert

Versuche
Mit den insgesamt 12 unterschiedlichen Drahtkonfigurationen (4 Drähte jeweils in unverseilter, verseilter und verdichteter Form) wurden jeweils bis zu 35 Einzelversuche mit unterschiedlichen Biegespannungen durchgeführt. Die Biegespannungen sind von 600 N/mm² bis 1200 N/mm² in Stufen von 100 N/mm² verändert worden. Bei jedem Lastniveau wurden bis zu fünf Umlaufbiegeversuche durchgeführt.

Auswertung
In Abbildung 2 sind die Ausgleichsgeraden für die unverseilte, die verseilte und die verdichtete Form am Beispiel des Drahts 4 dargestellt, wobei die Ausgleichsgeraden durch eine spezielle Regressionsrechnung auf Parallelität gebracht wurden. Die Unterschiede im Lebensdauerverhalten zwischen der unverseilten, der verseilten und der verdichteten Form eines Drahts können dadurch mit Faktoren angegeben werden.

In Tabelle 3 sind die wesentlichen Ergebnisse der zusammenfassenden Auswertungen aufgeführt. Am Beispiel des Drahts 4 erreicht der verseilte Draht 20,2 % höhere und der verdichtete Draht 9,1 % geringere Umlaufbiegewechselzahlen als der unverseilte Draht. Durch die Verdichtung reduziert sich die Umlaufbiegewechselzahl um 29,3 %. Draht 1 war litzenverdichtet. Die Reduktion der Umlaufbiegewechselzahl durch Litzenverdichtung beträgt 12,3 %. Die Drähte 2 bis 4 waren gehämmert. Hier beträgt die Reduktion der Umlaufbiegewechselzahl durch das Hämmern des Seils im Mittel ca. 30 %.

Tabelle 3: Ergebnisse der zusammenfassenden Auswertungen

Draht 1

Draht 2

Draht 3

Draht 4

verseilt

+16,5%

+15,5%

+26,5%

+20,2%

verdichtet

+4,2%

-12,2%

-11,3%

-9,1%

Verdichtung

12,3%

27,7%

37,8%

29,3%

Es wirkt zunächst erstaunlich, dass die bereits verseilten Drähte höhere Umlaufbiegewechselzahlen erreichen wie die entsprechenden unverseilten Drähte. Ursache hierfür ist die Entfestigung, die durch das Richten von unverseilten Drähten hervorgerufen wird. Es wurden Reduktionen der Bruchspannung von bis zu 8,3 % gemessen. Beim Richten von verseilten Drähten ist eine höhere Entfestigung der Drähte zu erwarten. Niedrigere Festigkeiten führen zu höheren Umlaufbiegewechselzahlen [6]. Eine Zunahme der Umlaufbiegewechselzahlen in der Größenordnung von rund 20 % ist daher plausibel.

Zusammenfassung
Verseilte Drähte erreichen höhere Umlaufbiegewechselzahlen wie unverseilte Drähte. Ursache ist die Entfestigung der Drähte beim Richten der verseilten Drähte. Niedrigere Festigkeiten führen zu höheren Umlaufbiegewechselzahlen. Eine Zunahme der Umlaufbiegewechselzahlen des verseilten Drahts gegenüber dem unverseilten Draht in der Größenordnung von rund 20 % ist daher plausibel.

Verdichtete Drähte erreichen niedrigere Umlaufbiegewechselzahlen wie unverdichtete Drähte. Die Abnahme der Umlaufbiegewechselzahl hängt von der Art der Verdichtung und vom Verdichtungsgrad ab. Die Reduktionen bei Außendrähten von Außenlitzen betragen bei einem 8-litzigen gehämmerten Warrington-Seale-Seil und bei 1+6-Außenlitzen eines drehungsarmen gehämmerten Seils jeweils ca. 30 %. Bei litzenverdichteten 1+6-Außenlitzen eines drehungsarmen Seils beträgt die Reduktion dagegen nur 12 %.

Danksagung
Der Autor dankt der WDI Drahtseilwerk Dortmund GmbH für die Unterstützung des Projekts und die Bereitstellung von Draht-, Litzen und Seilmustern.

Literatur
[1] DIN EN 10264-1: Juni 2002 Stahldraht für Seile. Teil 1: allgemeine Anforderungen
[2] DIN EN 10264-2: Juni 2002 Stahldraht für Seile. Teil 2: Kaltgezogener Draht aus unlegiertem Stahl für Seile für allgemeine Verwendungszwecke
[3] Ziegler, S.: Einfluss der Drahtschwingfestigkeit auf die Lebensdauer von Seilen. Diss. Universität Stuttgart 2007
[4] Wolf, E.: Seilbedingte Einflüsse auf die Lebensdauer laufender Drahtseile. Diss. Universität Stuttgart 1987
[5] Feyrer, K.: Drahtseile. Bemessung, Betrieb, Sicherheit. 2. Auflage, Berlin, Springer-Verlag 2000, ISBN 3-540-67829-8
[6] Briem, U.: Umlaufbiegewechselzahl von Seildrähten. DRAHT 3/2000, S.73–77

Autor des Beitrages ist Ulrich Briem, OTH Regensburg

Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
Fakultät Maschinenbau
Galgenbergstraße 30, 93049 Regensburg
Ansprechpartner ist Ulrich Briem
Tel.: +49 941 943-5191
ulrich.briem@oth-regensburg.de
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