30.12.23 – Lebensdauer von geführten Leitungen in Schleppketten erheblich verlängert
Kanten von Schleppkettenleitungen schützen
Im Labor für angewandte Produktionstechnik an der Hochschule Trier wurde ein Kantenschutz entwickelt, der die Lebensdauer von geführten Leitungen in Schleppketten erheblich verlängert.
Kabel und Leitungen sind ein integraler Bestandteil der elektrifizierten Welt. Sie garantieren in einer Vielzahl von Anwendungen die einwandfreie Übertragung von Energie und Daten. Ausfälle derselben sind dabei immer mit ungewollten und teils kostspieligen Konsequenzen verbunden. Deshalb werden Leitungen in kritischen Anwendungen zumeist regelmäßig präventiv getauscht. Dies bedeutet für den betreffenden Anwender einen erhöhten Materialaufwand sowie erhebliche Mehrkosten. Das Labor für angewandte Produktionstechnik (LAP) an der Hochschule Trier erforscht die Schädigungsmechanismen von mechanisch-dynamisch belasteten Kabeln und Leitungen in bewegten Anwendungen. Der Fokus liegt besonders auf der Lebensdauervorhersage und der Lebensdauerverlängerung. Aus diesen Forschungen ist ein Adapterelement hervorgegangen, welches die Lebensdauer von in Energieketten geführten Leitungen verlängern kann.
Einbauregeln und Problematik
Eine Schleppkette oder auch Energieführungskette (Abb. 1) besteht aus mehreren beweglichen Kettengliedern. Diese Kettenglieder sind durch einen Anschlag in ihrer Bewegungsfreiheit zueinander begrenzt. Durch die Begrenzung auf einen bestimmten Verdrehwinkel wird aus der Kombination mehrerer Kettenglieder eine gegliederte kreisbogenförmige Biegung erzeugt. Ein einzelnes Kettenglied begrenzt den Freiheitsgrad der Leitungen durch seitliche Führungswände und oben bzw. unten liegende Stege. Dabei lassen sich die Stege öffnen, damit die Schleppkette mit Leitungen und dergleichen befüllt werden kann.
Die optimalen Befüllungs- und Einbauregeln der Firma Igus GmbH (Abb. 2) für Energieführungsketten streben an, dass die Leitung idealerweise auf der oberen Innenseite und auf der unteren Außenseite anliegt. Dabei kommt es zu einem gleichmäßigen Seitenwechsel der Leitung im Bereich der Biegezone. Ziel ist, dass die Leitungen im Mittel den größtmöglichen Biegeradius einnehmen können. Der kleinste einnehmbare Biegeradius ist nach dem Stand der Technik für die Lebensdauer maßgeblich.
Anders als bisher angenommen, ist der kleinste auftretende Biegeradius nicht der, den die Leitungen durch die Zwangsführung der Kette einnehmen, sondern der durch die Kanten der Schleppkettenstege (Abb. 3). Beim Durchlaufen der Leitung und dem beschriebenen Seitenwechsel kommt es kontinuierlich zu einer Biegung an den Stegkanten. Diese Beobachtung lässt den Schluss zu, dass eine Optimierung dieses tatsächlich kleinsten Beigeradius der Schleppkettengeometrie die Lebensdauer der Leitungen verlängern müsste.
Optimierung durch Adapterelement
Für die Optimierung der Schleppkette durch ein entsprechendes Adapterelement stellen sich folgende Anforderungen:
– Nachrüstbar und kompatibel für herkömmliche Schleppketten.
– Anpassbar für unterschiedliche Stegbreiten und Kettenhöhen.
– Vergrößerung des minimal einnehmbaren Radius einer Schleppkettenleitung.
– Bewirken einer Minimierung und Gleichverteilung der Biegespannung in der Leitung aufgrund der kreisbogenförmigen Biegung in der Biegezone der Schleppkette.
– Aufgrund der Schleppkettenglieder und der gesamten Geometrie, muss die kreisbogenförmige Biegung durch eine Mehrzahl von einzelnen Elementen erzeugt werden. Die Elemente müssen geometrisch so ausgelegt sein, dass diese untereinander nicht klemmen oder herausgehebelt werden und somit keine nachteilige Beeinflussung auf die Kinematik der Schleppkette ausüben.
Aus diesen Anforderungen ergibt sich nach verschiedenen Iterationsschritten und den dazugehörigen Prototypen ein Kantenschutzelement, welches in Abb. 4 gezeigt ist. Es ist zu erkennen, dass das in unterschiedlichen Formen, Farben und Geometrien für jede Schleppkette und die dazugehörigen Leitungen individuell angepasst werden kann. Somit ergibt sich eine Universallösung, welche in alle auf dem Markt erhältlichen Schleppketten-Systeme problemlos nachgerüstet werden kann. Der Einbau erfolgt dabei wie bei den bisher in Energieführungsketten verwendeten Trennstegen durch simples einclipsen der Kantenschutzelemente.
In Abb. 5 ist das Kantenschutzelement im eingebauten Zustand inklusive einer geführten Leitung gezeigt. Es ist zu erkennen, wie das Adapterelement den Biegeradius der Leitung, welche ursprünglich am inneren Steg liegt, vergrößert und somit die Leitung von der Stegkante wegführt. Hierdurch können die mechanischen Belastungen durch Knickungen erheblich verringert werden. Nachfolgend wird der Nachweis der Lebensdauerverlängerung durch das Kantenschutzelement erbracht.
Nachweis der Lebensdauerverlängerung
Für den Nachweis der Lebensdauerverlängerung von mechanisch belasteten Leitungen durch das Kantenschutzelement in Schleppketten wurde eine verlitzte Leitung des Typs H07V-K mit einem Querschnitt von 1,5 mm² in der Schleppkettenprüfanlage des LAP bis zum Versagen belastet. Hierfür wurden jeweils 8 Leitungen mit und ohne Kantenschutzelement getestet und die Lebensdauer, gemessen in Zyklen, notiert. In Abb. 6 ist das Ergebnis der Lebensdaueruntersuchung in einem Histogramm dargestellt. Die blauen Balken repräsentieren die Messungen ohne und die orangen Balken die Messungen mit Kantenschutzelement. Es ist deutlich zu erkennen, dass mit Kantenschutzelement eine annähernd doppelte Zyklenzahl erreicht werden konnte. Die Lebensdauer der mechanisch belasteten Leitungen konnte mithilfe des Kantenschutzelementes somit fast verdoppelt werden.
Dieses Ergebnis lässt sich zusätzlich durch die Analyse der Oberflächenrauheit stützen. In früheren Forschungsarbeiten im LAP konnte nachgewiesen werden [1], dass mit zunehmender Biegebelastung der Leiterwerkstoff Kupfer an der Oberfläche eine Rauheit ausbildet [2]. Grund für dieses charakteristische Materialverhalten sind Risse, Versetzungen und Materialextrusionen an der Leiteroberfläche [3]. Diese Rauheit kann als Kenngröße für die noch verbleibende Lebensdauer verwendet werden. In Abb. 7 ist die Oberfläche eines neuwertigen (a), mit Kantenschutz (b) und ohne Kantenschutz (c) in einer Schleppkette belasteten Kupferleiters gezeigt. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Kupferleiter, welcher ohne Kantenschutzelement belastet wurde, eine höhere Oberflächenrauheit als der Leiter mit Kantenschutz aufweist. Die Oberflächenrauheit wurde mithilfe des Konfokalmikroskops Confovis Toolinspect S aufgenommen, welches durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG - 460284478) gefördert wurde. Dies lässt den Schluss zu, dass bei vergleichbarer Biege-Zyklenzahl in einer Schleppkette eine mit Kantenschutz ausgestattete Leitung weniger stark mechanisch belastet wird und somit eine längere Lebensdauer aufweist.
Kostenpotenzial
Durch das Kantenschutzelement wird die Lebensdauer von Leitungen nachweislich verlängert. Bei allen im LAP getesteten Proben konnte mindestens eine Verdopplung der Lebensdauer festgestellt werden. Das Kantenschutzelement kann nachträglich mit geringem Aufwand in existierenden Schleppkettenanlagen eingebracht werden und wäre mit sehr geringen Kosten für neu einzubauende Leitungen, z. B. vom Schleppketten- oder Kabelhersteller, mitlieferbar. Nachfolgend ein Rechenbeispiel für einen laufenden Meter Schleppkette:
Eine Standard-Schleppkette kostet ohne Leitungen pro Meter ca. 35 Euro. Diese Kosten entsprechen ca. 10 % bis 15 % des „inneren Wertes“ (Leitungen) der konfektionierten Schleppkette. Somit ergeben sich für eine bestückte Schleppkette Kosten von insgesamt ca. 300 Euro. Mit dem Kantenschutzelement wird die Lebensdauer nahezu verdoppelt, was demnach auch einer Verdopplung des inneren Werts der Schleppkette auf ca. 600 Euro entspricht. Das Kantenschutzelement hat aufgrund der schnellen und günstigen additiven Fertigung Stückkosten von lediglich 3 bis 4 Cent. Bei einer Teilung von 67 mm, werden pro Meter 15 Kantenschutzelemente pro Leitung und Meter benötigt. Für sechs Leitungen in unserer Beispielrechnung kostet der Kantenschutz pro Meter belasteter Schleppkette 3,15 Euro. Somit kann durch den Einsatz von wenigen Euro die Lebensdauer und somit auch der innere Wert der Schleppkettenleitungen verdoppelt werden. Hinzu kommen die dadurch überflüssigen Diskussionen im Fall eines erhobenen Gewährleistungsanspruches. Bei Verwendung des Kantenschutzes ist ein falscher Einbau der Leitungen nur noch schwerlich möglich. Auch kann der Kantenschutz durch eine geeignete Materialwahl zur Entkopplung der Schleppketten- und individueller Leitermantelmaterialien dienen, welche nun nicht mehr kostspielig aufeinander abgestimmt werden müssen. Aufgrund des ökonomisch und ökologisch hohen Wertes dieser Erfindung haben die Wissenschaftler an der Hochschule Trier das Kantenschutzelement zum Patent angemeldet (AZ 10 2021 113 911.2).
Quellenangaben:
[1] Baron P., Lenz P., et al., Verschleißerkennung bei Kupferleitern, DRAHT 3/2021.
[2] Ehlenz, T., Multiphysikalische Betrachtung von Kabeln und Leitungen unter mechanisch-dynamischer Belastung, Shaker Verlag (2020).
[3] Baron, P., Lenz, P., Schomer, M. et al., Surface roughness and its structural orientation caused by internal microstructural changes in mechanically stressed copper conductors. J Mater Sci 57, 15549–15559 (2022).
Die Autoren des Beitrags sind Philipp Baron und Armin Wittmann (Professur für Produktionstechnik), Hochschule Trier.
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