15.07.24 – Projekt mehrerer Hochschulen
µ-dicke Membranen detektieren Oberflächeneigenschaften
Mittels einer speziellen hauchdünnen Goldmembran haben ETH-Forschende die Untersuchung von Oberflächen deutlich erleichtert. Damit lassen sich nun Oberflächeneigenschaften messen, die mit herkömmlichen Methoden unzugänglich sind.
«Die Oberfläche hat der Teufel gemacht» – dieser Satz wird dem theoretischen Physiker Wolfang Pauli zugeschrieben, der viele Jahre an der ETH Zürich lehrte und 1945 für seine Arbeiten zur Quantenmechanik den Nobelpreis erhielt. Tatsächlich haben Forschende mit Oberflächen ihre liebe Mühe. Einerseits sind sie sowohl in der belebten als auch der unbelebten Natur sehr wichtig, andererseits ist es aber mitunter teuflisch schwierig, sie mit herkömmlichen Nachweismethoden zu studieren.
Nun hat ein interdisziplinäres Team von Materialwissenschaftlern und Elektroingenieuren um Lukas Novotny, Professor für Photonik an der ETH Zürich, zusammen mit Kollegen der Humboldt-Universität zu Berlin ein Verfahren entwickelt, das die Charakterisierung von Oberflächen in Zukunft deutlich erleichtern wird. Die Ergebnisse ihrer Arbeit, die auf dem Einsatz einer hauchdünnen Goldmembran basiert, haben sie kürzlich im Wissenschaftsjournal Nature Communications veröffentlicht.
Oberflächen wichtig für Funktionalität
«Ob es um Katalysatoren, Solarzellen oder Batterien geht – Oberflächen sind für deren Funktionalität immer extrem relevant», sagt Roman Wyss, ehemaliger Doktorand in Materialwissenschaften und Erstautor der Studie, der jetzt beim ETH Startup Enantios forscht. Diese Relevanz rührt daher, dass sich die wichtigen Prozesse in der Regel an Grenzflächen abspielen. Bei Katalysatoren geht es um die chemischen Reaktionen, die an deren Oberflächen beschleunigt werden. Für Batterien wiederum sind die Oberflächeneigenschaften der Elektroden für deren Effizienz und Langzeitverhalten entscheidend.
Zur nichtdestruktiven Untersuchung von Materialeigenschaften – also ohne das Material dabei zu beschädigen – benutzen Forschende seit vielen Jahren die Raman-Spektroskopie. Dabei wird ein Laserstrahl auf das Material gerichtet, und das zurückgeworfene Licht wird analysiert. Aus den Eigenschaften des reflektierten Lichts, dessen Frequenzspektrum durch die Vibrationen der Moleküle im Material verändert wurde, lassen sich sowohl Rückschlüsse auf die chemische Beschaffenheit des untersuchten Objekts ziehen – man spricht von einem chemischen Fingerabdruck – als auch mechanische Effekte wie etwa Verspannungen nachweisen.
Goldmembran mit winzigen Poren
«Das ist eine sehr mächtige Methode, die sich aber nur begrenzt auf Oberflächen anwenden lässt», sagt Sebastian Heeg, der als Postdoktorand bei Lukas Novotny an den Experimenten beteiligt war und mittlerweile an der Humboldt-Universität eine Nachwuchsgruppe leitet. Da das Laserlicht bei der Raman-Spektroskopie einige Mikrometer tief in das Material eindringt, wird das Frequenzspektrum hauptsächlich vom Materialinneren beeinflusst und nur zu einem sehr geringen Teil von der wenige Atomschichten dicken Oberfläche.
Um die Raman-Spektroskopie auch für Oberflächen nutzbar zu machen, entwickelten die ETH-Forschenden eine spezielle Goldmembran, die nur 20 Nanometer dick ist und etwa hundert Nanometer große längliche Poren enthält. Bringt man eine solche Membran auf eine zu untersuchende Oberfläche auf, so geschieht zweierlei: Zum einen hindert die Membran den Laserstrahl daran, in das Materialinnere vorzudringen. Zum anderen wird aber dort, wo sich die Poren in der Goldmembran befinden, das Laserlicht konzentriert und nur wenige Nanometer tief in die Oberfläche abgestrahlt.
Tausendfache Signalverstärkung
«Die Poren wirken als so genannte plasmonische Antennen – ganz ähnlich wie die Antenne in einem Mobiltelefon», sagt Heeg. Die Antennenwirkung verstärkt das Raman-Signal der Materialoberfläche gegenüber dem Signal der herkömmlichen Raman-Spektroskopie ohne Membran bis zu tausend Mal. Heeg und seine Kollegen konnten dies unter anderem am Beispiel von verspanntem Silizium sowie an dem Perowskit-Kristall Lanthan-Nickeloxid (LaNiO3) eindrucksvoll demonstrieren.
Verspanntes Silizium ist für Anwendungen in Quantentechnologien wichtig, doch bislang konnte die Verspannung nicht mittels Raman-Spektroskopie untersucht werden, da das von der Oberfläche erzeugte Signal im Hintergrundrauschen der Messung unterging. Nachdem die Goldmembran aufgebracht worden war, wurde das Verspannungs-Signal selektiv so stark erhöht, dass es klar von den anderen Raman-Signalen des Materials unterschieden werden konnte.
Das metallische Perowskit Lanthan-Nickeloxid wiederum ist ein wichtiges Material für die Herstellung von Elektroden. «Die starke Kopplung zwischen seiner Kristallstruktur und elektrischen Leitfähigkeit ermöglichen es, durch Veränderung der Elektrodendicke im Nanometerbereich die Leitfähigkeit zu kontrollieren. Die Oberflächenstruktur, so vermutet man, spielt dabei eine essenzielle Rolle», sagt Mads Weber, ehemaliger Postdoc an der ETH Zürich und jetzt Assistenzprofessor an der Universität Le Mans, der diese Materialklasse erforscht und ebenfalls an der Studie beteiligt war. Dank der neuen Goldmembran-Methode waren die Forschenden nun erstmalig in der Lage, einen Einblick in die Oberflächenstruktur von Lanthan-Nickeloxid zu erhalten.
«Unser Ansatz ist auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit interessant, da bereits bestehende Raman-Apparate so ohne großen Aufwand ganz neue Fähigkeiten erhalten», sagt Heeg. In Zukunft wollen die Forschenden ihre Methode weiter verbessern und an die Bedürfnisse der Anwender anpassen. So sind zum Beispiel die Poren in der Goldmembran derzeit unterschiedlich groß und unregelmäßig angeordnet. Durch das Herstellen von Membranen mit parallel angeordneten Poren gleicher Größe könnte die Methode für bestimmte Materialien optimiert und so die Raman-Signalstärke nochmals hundertfach erhöht werden.