29.09.18

Zwillingsforschung

Der Prüfstand soll in den Rechner geholt werden. Forschern am Fraunhofer LBF ist dies gelungen bei der Entwicklung eines mechatronischen Wankstabilisators, dessen digitalen Zwilling sie erstellt haben. Das Beispiel ist übertragbar.

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Vergleich der Simulationsergebnisse mit Messungen an betriebslastähnlichen Validierungssignalen: erzielte Genauigkeit der Kolbenwege. © LBF

 
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Aufbau des digitalisierten Prüfstands. © Schaeffler/LBF

 
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Der digitale Zwilling bildet insbesondere die physikalischen Grenzen des Prüfsystems mit einer Genauigkeit ab, die es ermöglicht, die Machbarkeit eines Versuchs virtuell zu bewerten. Durch die standardmäßige Einbindung einer virtuellen Prüfung mit Hilfe des digitalen Zwillings im Vorfeld der experimentellen Prüfung lassen sich Effizienzsteigerungen erzielen.

Denn die Digitalisierung erfordert nicht nur, Produktzwillinge in Bits und Bytes zu erstellen, sondern auch von Prüfumgebungen, mit denen ihre Funktionalität und Betriebsfestigkeit abgesichert werden. „Nur so lassen sich das Zusammenspiel von Prüfling und Prüfsystem, die Machbarkeitsgrenzen in der Prüfung und die erzielbaren Genauigkeiten im Vergleich zum realen Einsatz bereits vor dem eigentlichen Versuch virtuell erfassen“, betont Volker Landersheim. Er ist am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) verantwortlich für das Projekt.

Wichtig ist der digitale Zwilling des Prüfstands bei aktiven Systemen in Fahrzeugen, wie sie beispielsweise im Fahrwerksbereich zunehmend zum Einsatz kommen. Bei der Entwicklung des mechatronischen Wankstabilisators IARC (Intelligent Active Roll Control) der Schaeffler Technologies ist die experimentelle Erprobung entscheidendes Element in der Produktentwicklung. Dabei gibt es deutliche Unterschiede in den Prüfanforderungen für unterschiedliche Einsatzfälle.

Modellbildung und Parametrierung

Um zeit- und kostenschonend prüfen zu können, bauten die Darmstädter Wissenschaftler ein numerisches Simulationsmodell des Prüfstands auf. „Zusammen mit einem virtuellen Modell können wir bereits vor Beginn der eigentlichen Prüfungen klären, wie weit die Anforderungen auf dem Prüfstand umgesetzt werden können und welche Optimierungspotenziale bestehen“, erklärt Landersheim. Auf diese Weise lassen sich Prüfstands-Belegungszeiten signifikant verkürzen und experimentelle Iterationen minimieren.

Das Prüfstandmodell umfasst die nichtlineare Systemdynamik der Hydraulik, ihrer Regelung sowie der Kinematik, welche die LBF-Wissenschaftler an Hand eines speziell für das Projekt zugeschnittenen Prüfprogramms identifizierten und parametrierten. Dabei wählten sie im Hinblick auf die Interpretierbarkeit des Modells einen durchgängig physikalisch motivierten White-Box-Modellierungsansatz. Das erstellte Modell ist in der Lage, auch die entstehenden Regelabweichungen sowie die Leistungsgrenzen des Prüfsystems abzubilden.

Die Validierung führte das LBF mit betriebslastähnlichen Signalen durch, die nicht in die Modellerstellung und -parametrierung eingeflossen sind. Dabei ergaben sich in den Kolbenwegen für alle Validierungssignale Abweichungen von unter drei Prozent sowohl in den RMS-Werten (Root Mean Square-Error) als auch in der Pseudoschädigung. Die Abweichung der Signalminima und -maxima liegt sogar in allen Fällen unter 1 %.

Zwei Anwendungsfälle umgesetzt

Diese hohe Ergebnisqualität ermöglicht vielfältige Anwendungen des Modells. Im Projekt setzten die Darmstädter Wissenschaftler zwei Anwendungsfälle um. In der Sensitivitätsanalyse wurde der Einfluss verschiedener Modellparameter auf das Simulationsergebnis untersucht und in der Machbarkeitsanalyse, in wie weit eine Prüfanforderung auf dem Prüfstand umsetzbar ist und welche Grenzen der Systemdynamik hierbei limitierend wirken.

Durch die standardmäßige Einbindung einer virtuellen Prüfung mit Hilfe des digitalen Zwillings im Vorfeld der experimentellen Prüfung lassen sich wesentliche Effizienzsteigerungen erzielen, da Hindernisse frühzeitig erkannt und ihre Ursachen identifiziert werden können. Diese Vorgehensweise erscheint insbesondere für Automobilzulieferer von hoher Relevanz, da eine Erprobung im Fahrzeug in der Regel erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Entwicklung möglich ist und der Prüfstand damit das wesentliche Werkzeug zur Absicherung darstellt. Das unterstreicht auch Dustin Knetsch, Leiter Verifikation und Validierung Fahrwerkaktuatoren bei der Schaeffler Technologies: „Für das Projekt wurden zu Beginn Schnittstellen so abgestimmt, dass das Prüfstands- und Entwicklungs-Knowhow des LBF und das Produkt- und Systemverständnis von Schaeffler bestmöglich genutzt wurden. Durch eine enge Abstimmung konnte auch während des Projekts flexibel auf Erkenntnisse reagiert werden, so dass am Ende ein für Schaeffler ideales Ergebnis vorliegt."

Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit

 und Systemzuverlässigkeit (LBF)

 Bartningstraße 47

 64289 Darmstadt

 Ansprechpartner ist Volker Landersheim

 Tel.: +49 6151 705-0

 volker.landershein@lbf.fraunhofer.de

 http://bit.ly/2N9TqZm-Zwilling

Schaeffler Technologies AG+Co. KG

 Industriestraße 1-3

 91074 Herzogenaurach

 Ansprechpartner ist Dustin Knetsch

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 info.de@schaeffler.com

 www.schaeffler.com

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