12.01.22 – Neuer WGP-Präsident Wulfsberg nennt Nachhaltigkeit ein Muss
Die Produktion braucht neue Zielgrößen
Seit Anfang 2022 ist Prof. Jens P. Wulfsberg, Leiter des Laboratoriums Fertigungstechnik (LaFT) der Universität der Bundeswehr in Hamburg, der neue Präsident der WGP (Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik).
Er folgt damit turnusgemäß auf Prof. Christian Brecher, Leiter des Lehrstuhls für Werkzeugmaschinen WZL der RWTH Aachen, der das Amt die beiden Jahre zuvor innehatte.
„Als Präsident werde ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sich die Forschung der WGP noch stärker als bislang an neuen Zielgrößen ausrichtet. Wir tragen Verantwortung für die Zukunft. Und wie die Dinge stehen, ist es mit dem überwiegenden Fokus auf steigende Produktivität und sinkende Stückkosten in der Produktionsforschung nicht mehr getan. Wir müssen weiter über den Tellerrand schauen und in unser Forschungsportfolio vermehrt Themen wie ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, Resilienz in der Produktion aufnehmen. Dazu gehört nicht zuletzt eine Beeinflussung des Konsumverhaltens durch neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfungssystematiken.“
Die WGP als Zusammenschluss führender Professoren der Produktionstechnik in Deutschland beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit nachhaltiger und resilienter Produktion – Themen, die spätestens durch die Diskussion über den steigenden Ressourcenverbrauch und mit der Pandemie ins Licht der Öffentlichkeit rückten. Zusammenbrechende Lieferketten durch eine „Überglobalisierung“ und eine fehlende Produktionsalternative in Europa machen ungezählten Firmen in Deutschland schwer zu schaffen. Als Forschende mit Visionen für eine innovative Produktion, die Krisen leichter überwindet und den Industriestandort Deutschland nachhaltig sichert, haben sich die Mitglieder immer wieder öffentlich zu Wort gemeldet. Bisherige Arbeiten der WGP-Forschungsinstitute beschäftigen sich beispielsweise mit der kontinuierlichen Senkung des Energie- und Materialverbrauchs, mit der Optimierung von Maschinen, Verfahren und Fabrikorganisation oder auch mit der Objektivierung der Diskussionen um nachhaltige Produktion. „Doch die Entwicklungen der vergangenen Jahre mit den sich immer drastischer verändernden ökologischen Randbedingungen und dem europäischen Green Deal zwingen uns, die Evolution hin zu umweltverträglicher und krisenfester Produktion zu beschleunigen. Das ist nicht nur möglich, sondern es ist auch eine riesige Chance für unser Land.“
Nicht nur quantitatives, auch qualitatives Wachstum
Neben den bekannten Qualitätsanforderungen an Maschinen, Anlagen und Prozesse mit stetig steigender Produktivität und sinkenden Kosten für eine flexible Produktion müssen weitere Zielgrößen, eine neue Systematik der Wertschöpfung hinzukommen. „Es gibt schon jetzt Beispiele, bei denen die industrielle Wertschöpfung neu aufgestellt wird“, weiß Wulfsberg. „Doch als der Zusammenschluss führender Produktionswissenschaftler in Deutschland haben wir es in der Hand, die Weichen für eine revolutionäre Veränderung zu stellen, die umwelt- und sozialverträglich und trotzdem wirtschaftlich ist – auch für kommende Generationen.“
Neuartige Geschäftsmodelle sind dabei der Dreh- und Angelpunkt, die die notwendigen, enormen Umwälzungen erst möglich machen. Sharing, pay per use, performance based contracting, peer to peer und andere: All das sind Geschäftsmodelle, die durch die Produktionstechnik ermöglicht oder befeuert werden können. So ließe sich etwa denken, dass künftig Haushaltsgeräte von den produzierenden Unternehmen nicht mehr verkauft, sondern den Kundinnen und Kunden überlassen werden, die dann pro Nutzungsvorgang bezahlen. „Das hätte zur Folge, dass möglichst langlebige Maschinen entwickelt und hergestellt werden, die dann aber im industriellen Maßstab updatefähig sein müssen und deren ,CO2-Rucksack‘ so lange wie möglich abgeschrieben werden kann. Für die Anwenderinnen und Anwender wiederum wäre es sinnvoll, die Geräte so effizient wie möglich zu nutzen. Sie wären ans Internet angeschlossen und würden Daten zur Nutzung und Abrechnung an die bereitstellende Firma leiten – ein Konzept, das dem des Carsharing gleicht.“
Beste Voraussetzungen für Deutschland
Der große Vorteil für Deutschland ist das breite Domänenwissen. „Wir sind nicht nur Weltmeister im Export von exzellenten Werkzeugmaschinen, wir haben auch ein tiefes Verständnis der Produktionsprozesse – eine weltweit herausragende Kombination“, erläutert Wulfsberg. „Auch deswegen sind wir es, die den Hebel zu einer zukunftsfähigen Produktion in der Hand haben. Wir können unter anderem mithilfe weiterer Digitalisierung und Automation eine Blaupause für die nachhaltige Fabrik der Zukunft schaffen, die Maschinen, Prozesse und Produktionsplanung und nicht zuletzt die Menschen mit einbezieht. Damit wiederum können wir Deutschland und Europa zum Ausstatter für ökologisch, ökonimisch und sozial zukunftsfähige Fabriken in der Welt von morgen machen. Das ist unsere Chance, nach beispielsweise dem Automobilbau auf einem neuen Gebiet konkurrenzfähig zu bleiben.“
Erste Beispiele für disruptive Konzepte hat die WGP mit dem Konzept der Update-Factory vor kurzem vorgelegt. Und auch die FabCity-Initiative, an der Hamburg auf Initiative von Wulfsberg beteiligt ist, ist ein Beispiel für eine innovative Systematik der Wertschöpfung – ohne lange Lieferketten, mit lokaler Produktion on demand, umwelt- und sozialverträglich. „Wir können es, und deswegen wollen wir es.“
Über die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e.V. (WGP)
Die WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik e.V.) ist ein Zusammenschluss führender deutscher Professorinnen und Professoren der Produktionswissenschaft. Sie vertritt die Belange von Forschung und Lehre gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Die WGP vereinigt 69 Professorinnen und Professoren aus 38 Universitäts- und Fraunhofer-Instituten und steht für rund 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Produktionstechnik. Die Mitglieder genießen sowohl in der deutschen Wissenschaftslandschaft als auch international eine hohe Reputation und sind weltweit vernetzt. Die Labore der Mitglieder sind auf einem hohen technischen Stand und erlauben den WGP-Professoren, in ihren jeweiligen Themenfeldern sowohl Spitzenforschung als auch praxisorientierte Lehre zu betreiben. Die WGP hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung der Produktion und der Produktionswissenschaft für die Gesellschaft und für den Standort Deutschland aufzuzeigen. Sie bezieht Stellung zu gesellschaftlich relevanten Themen von Industrie 4.0 über Energieeffizienz und resilienter Produktion bis hin zu 3D-Druck.
Kurzvita Prof. Jens P. Wulfsberg
Prof. Jens Peter Wulfsberg, geboren am 02.11.1959, war von 1986 bis 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Abteilungsleiter am Institut für Fertigungstechnik und Spanende Werkzeugmaschinen an der Universität Hannover. Nach etwa neunjähriger Tätigkeit bei der Olympus Winter+IBE GmbH in Hamburg erfolgte im Januar 2001 die Berufung als Professor für Fertigungstechnik in der Fakultät für Maschinenbau an der Universität der Bundeswehr Hamburg (Helmut-Schmidt-Universität). Zudem ist er seit 1996 Mitglied im Aufsichtsrat der Firma Hornbach. Von 2005 bis 2007 war Prof. Wulfsberg Dekan der Fakultät für Maschinenbau. Seit 2010 war er Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms 1476 „Kleine Werkzeugmaschinen“. Von 2011 bis 2013 wurde er zum Vizepräsident Forschung der Helmut-Schmidt-Universität ernannt. Von 2019 bis 2020 war er Prodekan und im Anschluss von 2020 bis 2021 Dekan der Fakultät für Maschinenbau. Weiterhin ist Prof. Wulfsberg Mitglied in der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – acatech, der European Society for Precision Engineering and Nanotechnology (Euspen) und in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Montage, Handhabung, Industrierobotik (MHI). Von 2022 bis 2024 wird er die WGP leiten.