18.11.19

Prozesse enden nicht im Büro

Digitalisierung ist mehr als nur ein Trend. Angebunden an ein unternehmensweites Prozessmanagement ist sie Voraussetzung, um auf wechselnde Marktanforderungen reagieren zu können. Vor allem der Einsatz von modernem Business Process Management in Fertigungsprozessen rechnet sich.

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Fertigungsabläufe setzen sich häufig aus manuellen und maschinellen Tätigkeiten zusammen. Im Beispiel wurde eine Stanzmaschine eingebunden. © Filì

 
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Stand der digitalen Industrialisierung. © Minautics

 
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Sprechen Fertigungsingenieure von Prozessautomatisierung, ist häufig die Rede vom Produktionsprozess: also von allen notwendigen Tätigkeiten, um ein Produkt zu herzustellen. Hierzu werden Arbeitspläne aufgelegt, Materiallisten und Artikelstrukturen sowie Maschinensteuerungen programmiert. Spricht der Informationstechniker – der ITler –, ist häufig die Rede von Workflows oder Dunkelverarbeitung. Insoweit gilt es, zwei aufeinander prallende Welten zusammenzuführen.

In der produzierenden Industrie kommt Workflow-Automatisierung bisher fast nur in kaufmännischen Supportprozessen wie Rechnungswesen, Personal oder Einkauf zum Einsatz. Das hilft, die Gemeinkosten zu drücken. Einen wirklichen Marktvorteil gewinnen produzierende Unternehmen aber nur, wenn sie die Produktion flexibilisieren, beschleunigen oder skalieren. In Produktionsprozessen ist Automatisierung mit Workflow-Engines bisher Neuland. Bisher sind übergreifende Betrachtungen von Workflows die Ausnahme. Diese enden aber nicht an der Bürotür, sondern setzen sich fort in Werkstätten, Produktionsabteilungen und Fertigungsmaschinen. Wer dies versteht, kann die Potenziale der Digitalisierung für die Industrie richtig nutzen. Minautics hat einen Prototyp entwickelt, der die Integration von kaufmännischen Workflows im Vertrieb, in der Planung, den eigentlichen Produktionsprozessen und der Abrechnung zeigt.

Ein erster Schritt in die Digitalisierung

Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber der erste Schritt Richtung Digitalisierung beginnt mit der Kenntnis über die eigene Tätigkeit und die eigenen Prozesse. In vielen Unternehmen existieren zwar Prozessbeschreibungen, aber diese sind meist nicht durchgängig und detailliert, sondern befriedigen eher das Interesse des Managements oder der Auditoren. Es bedarf zunächst einer detaillierten Aufnahme der relevanten Prozesse. Aber welche davon sind eigentlich relevant? Die Antwort ergibt sich in der Regel aus der strategischen Zielsetzung und Positionierung des Unternehmens. Hilft ein digitaler Rechnungsprozess erfolgreicher zu werden? Ja, vielleicht für einen Rechnungsdienstleister. Klassische Produktionsunternehmen haben ihre wettbewerbsdifferenzierenden Vorteile in der Regel jedoch in den Produktionsprozessen umgesetzt. Die Digitalisierung eines Rechnungsprozesses verfolgt da eher das Ziel der Kostenreduktion. Ein Alleinstellungsmerkmal am Markt ist da wahrscheinlich nicht abzuleiten. Wie können also Produktionsprozesse digital transformiert werden? Denn Digitalisierung ist meist eine hohle Phrase, hinter der häufig eine Methode fehlt.

Die IT hat in den letzten zehn Jahren im Themenfeld BPM interessante Technologien und Standards entwickelt. Allen voran ist die Verbreitung der Modellierungssprache Business Process Model and Notation (BPMN) – ein öffentlicher OMG-Standard – zu nennen, die nicht nur eine grafische Darstellung von Prozessen ermöglicht und somit Analysen vereinfacht und Transparenz schafft. Die Object Management Group ist ein Konsortium, das sich mit herstellerunabhängiger, systemübergreifender und objektorientierter Programmierung bechäftigt. BPMN kann dabei auch für die Prozessautomatisierung genutzt werden. Es gibt Softwarekomponenten, die BPMN interpretieren können und auf diese Weise Prozesse automatisieren. Diese Softwarekomponenten lassen sich als Process Engines oder Workflow Engines klassifizieren und gehen aber über die Funktionalitäten der Workflow-Software zur Jahrtausendwende hinaus. Sie können nämlich nicht nur Vorgänge digital von einem Mitarbeiter zum anderen weiterleiten. Heutzutage werden Process Engines auch genutzt, um technische Schnittstellen (Services) zu orchestrieren, Regeln auszuführen und große Mengen an Daten entlang des Prozesses zu transportieren. Je nach Bedarf und Möglichkeit erfolgt so die Überführung manueller Tätigkeiten in die Dunkelverarbeitung oder die konsequente prozessgetriebene Unterstützung von Aufgaben für Wissensarbeiter.

Das Themenfeld BPM war in den vergangenen Jahren vorwiegend auf den Dienstleistungsbereich konzentriert, so dass heute fast keine Bank, keine Versicherung, kein Telekommunikations-Dienstleister mehr ohne BPM-Technologie für ihre tausendfach ausgeführten Prozesse mehr auskommt. Diese Technologie hat durch Open-Source-Projekte einen hohen Reifegrad erreicht und öffentliche Standards etabliert, die herstellerunabhängig genutzt werden können.

Wendet sich die Industrie diesen Standards zu, löst sie sich aus dem Vendor-Lock-In (die enge Kundenbindung an Produkte/Dienstleistungen) vieler Hersteller und erhält ihre Flexibilität zurück. Damit kann sie Büro-Prozesse und Produktions-Prozesse auf bisher ungeahnte Weise integrieren und so die wahren Potenziale der Digitalisierung heben. Eine Lösung in der Digitalisierung, die endlich große Vorteile ermöglicht und nicht lediglich die nächste Digitalisierungs-Sau durch das Dorf treibt. Der Begriff Business Process Management scheint vor diesem Hintergrund nicht mehr zuzutreffen. Er suggeriert nur die kaufmännischen Prozesse zu betrachten. Es ist nunmehr vom allgegenwärtigen Process Management (Ubiquitous Process Management) zu reden, denn Prozesse überspannen nicht nur kaufmännische und Produktions-Prozesse, sondern setzen sich fort im Themenfeld „Internet of Things“ sowie in damit einhergehenden Serviceangeboten und Datenanalysen. Doch all diese Technologie hat für das Unternehmen wenige Vorteile, wenn die eigenen Prozesse unbekannt und der avisierte Nutzen nicht klar ist.

Zuerst die Fertigungsabläufe analysieren

Vielfach zitiert wurde Thorsten Dirks, CEO der Telefonica Deutschland. Seine Erkenntnis zur Digitalisierung von Prozessen lautet schlicht: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“

Produktionsprozesse sind daher zunächst auf ihre Wertschöpfung zu analysieren und alle nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten – sofern möglich – zu eliminieren. Sollte es dabei wirklich einen stabilen standardisierbaren Prozess geben, kann dieser beschrieben werden und funktionsübergreifend, also Ende-zu-Ende, administrative und produzierende Abteilungen überbrücken. Ein nicht zu unterschätzender Ressourcen-Vorteil. Solche Beschreibungen nimmt man idealerweise mittels BPMN vor, da sie als Grundlage für die spätere IT-Umsetzung der Prozessautomatisierung genutzt werden können, siehe oben.

Beispielhaft und stark vereinfacht, wird im Folgenden ein weit verbreiteter Prozess skizziert. Er beginnt mit einer Bestellung in einem Webshop, der entsprechende Auftrags- und Produktionsdaten in einem ERP-System anlegt, in der Produktion im Nachgang eine Maschine ansteuert, einem Versandmitarbeiter den Versand überlässt und einen automatisierten Rechnungsversand initiiert. Damit endet der Prozess.

Warum sieht dieses Beispiel so aus? Das Beispiel soll den Rahmen dieses Beitrages nicht sprengen. Und dennoch sollte die Interaktion verschiedener, bislang häufig isoliert betriebener IT-Lösungen (Webshop, ERP-System) im Prozess verdeutlicht werden. Ebenso ist in diesem Beispiel die Fertigungstechnik (in diesen Fall eine Stanzmaschine) in den Prozess eingebunden („Auftrag fertigen“). Und auch die Einbindung von Mitarbeitern ist nach wie vor möglich, wenngleich man künftig überlegen kann, wie auch diese Tätigkeiten durch Maschinen und Roboter ersetzt werden können.

Zu Beginn sollte überlegt werden, wie der Prozesszuschnitt aussehen soll. Die Frage ist also: Wo beginnt und endet mein Prozess? Dies ist unternehmensindividuell festzulegen. Große Unternehmen erwarten ihre Auftragseingänge per Electronic Data Interchange (EDI). Andere vertreiben sie über die eigene Website. In unserem Beispiel warten wir auf ein bestimmtes Ereignis, nämlich den Eingang einer Bestellung in einem Webshop. Welches System eingesetzt wird, ist dabei zweitrangig. Es gilt vielmehr, eine Ereignisüberwachung zu realisieren. Technisch sind hierbei mehrere Wege denkbar. Entweder hat das System entsprechende Schnittstellen, so dass mittels Web-Hook – nicht-standardisiertes Verfahren zur Kommunikation von Servern –oder einem Trigger (Funktion mehrerer Datenbankmanagement-Systeme) ein Signal an den Prozess geschickt werden kann.

Es ist aber auch denkbar, auf Datenbank-Ebene den Auftragseingang (Abschluss eines Warenkorbes; Eingang der Orders-Message) zu überwachen. Hierzu kann man mittels regelmäßiger zeitlicher Abfragen in der Datenbank den Eingang von neuen Bestellungen abfragen oder datenbankspezifische Prozeduren triggern den Prozess.

In den meisten Unternehmen wird Planungssoftware eingesetzt. Das ist sinnvoll, um die Ressourcen der Produktion effizient zu steuern. So genannte Systeme zum Enterprise-Ressource-Planning (ERP) unterstützen dabei, unternehmerische Aufgaben, Ressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel, Material und Informations- sowie Kommunikationstechnik im Sinne des Unternehmenszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht zu planen und zu steuern. Aus diesem Grund wird im genannten Beispiel der eingegangene Auftrag im ERP-System erfasst. In der Praxis wird diese Datenübertragung häufig durch „Abtippen“ realisiert. Im Rahmen der Prozessautomatisierung wird hier eine entsprechende Schnittstelle des ERP-Systems genutzt, um Dateninkonsistenzen zu vermeiden.

In den Fällen, in denen keine technischen Schnittstellen vom ERP zur Verfügung gestellt werden, stellt sich die Frage, wie dennoch die manuelle Datenübertragung vermieden werden kann. Technologien, wie RPA (Robotics Process Automation) stellen hier zufriedenstellende Werkzeuge zur Verfügung, die ebenfalls in die Automatisierungsrealisation eingebunden werden können.

Maschinen einbinden

Fertigungsprozesse setzen sich häufig aus manuellen und maschinellen Tätigkeiten zusammen. Beispielhaft wurde eine Stanzmaschine eingebunden, die von einer speicherprogrammierbaren Steuerung – wie der SPS „S7“ – geführt wird. Basierend auf den aus dem ERP-System stammenden Produkt- und Fertigungsinformationen werden in Abhängigkeit vom bestellten Produkt die folgenden Parameter an die SPS übergeben. Hierzu werden die Kommunikationsprotokolle vom Internet (wie Rest API) und SPS (zum Beispiel Profinet) verwendet wie

 - Stanzmaschinen-Typ

 - Pressdruck oder

 - Objektabmessungen.

Die Stanzmaschine ist allein ein Beispiel. Es können auch andere und durchaus mehrere Maschinen in den Prozess eingebunden werden. Parametrisierbare, umformende, additive und subtraktive Verfahren eignen sich insbesondere für durchgehend digitalisierte Produktionsprozesse. Es ist offensichtlich, dass eine gute Stammdatenqualität nötig ist, um die Prozesse optimieren zu können.

 Im Beispiel wurde ein menschlicher Prozessbeteiligter eingebunden, der den Auftrag versenden soll, nachdem die Stanze den Fertigungsvorgang beendet hat. Der Mitarbeiter erhält – prozessgetrieben – zur richtigen Zeit im Prozess eine Aufgabe, nämlich den fertigen Artikel zu entnehmen und zu versenden. Den Abschluss der Aufgabe quittiert er mit der Eingabe der Versandinformationen wie der Paketnummer. In der Praxis wird dies gegebenenfalls über Scanner oder BDE-Terminals (Betriebsdatenerfassung) geschehen. Dem hier aufgeführten Beispiel geschuldet, aber nicht weiter im detaillierten BDE-Stil ausgeführt. Technische Schnittstellen vorausgesetzt, ist die Einbindung aber möglich und auch sinnvoll.

Nachdem die beauftragte Leistung erbracht und versandt wurde, wird der Prozess im administrativen Bereich fortgesetzt. Dort wird nun die kaufmännische Transaktion, nämlich die Rechnungsstellung, angestoßen und im Beispiel auch elektronisch versendet. Auch hier können EDI-Schnittstellen (Elektronischer Datenaustausch) wie bei größeren Unternehmen genutzt werden. Einen durchgehenden Funktionsbereiche überspannenden Ansatz, wie im Beispiel skizziert, lässt sich jedoch nicht ohne Vorarbeiten umsetzen. Es müssen bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden. Eine zwingende Voraussetzung ist die detaillierte Kenntnis des Prozesses. Im Rahmen eines Projekts wird ein solcher Prozess – mit mehr Details als hier im Beispiel – in Workshops erhoben und auch gleich analysiert.

Darüber hinaus ist das Stammdaten-Management erfolgskritisch. Unsaubere Daten können hier fehlerfreie Prozessdurchläufe verhindern. Deshalb muss häufig zunächst eine organisatorische Lösung entwickelt werden, um die Verantwortung für Stammdaten zuzuweisen. Hierfür wird noch eine entsprechende Technologie benötigt, die aber am Markt verfügbar ist. Um diese für das Unternehmen nutzbar zu machen, bedarf es jedoch technischer Kompetenzen, die für die Entwicklung und den Betrieb solcher Lösungen wichtig ist. Sind diese intern nicht verfügbar, stehen am Markt entsprechende Dienstleister zur Verfügung, die auch bei der Modularisierung und somit Flexibilisierung der Lösung unterstützen können.

Die durchgehende Prozessautomatisierung, basierend auf einer Process Engine – der Anwendung zur Ausführung von Prozessen –, macht darüber hinaus auch ein effizientes Prozess-Monitoring möglich. Dies macht nicht nur die laufenden Prozesse wie Vorgänge als solches sichtbar, sondern gibt auch wichtige Hinweise auf Engpässe im Prozess. Im obenstehenden Prozess sieht man, dass die Stanze bei „Auftrag fertigen“ offenbar Limitierungen im Prozessdurchsatz verursacht. Hat diese Limitierung dauerhaft Bestand, ist zu prüfen, ob beispielsweise die Kapazität ausgeweitet werden kann oder andere Fertigungsverfahren ergänzend eingesetzt werden können. Letzteres würde sicher eine Prozessvariante begründen.

Zusammenfassung

Intelligente und vernetzte Methoden, Verfahren und Werkzeuge, die entlang durchgehender bereichsübergreifender Prozesse die Wertschöpfung digitalisieren, ermöglichen eine schnellere, kostengünstigere, qualitätstreuere und flexiblere Fertigung. Die Anwendung von Modellierungssprachen wie BPMN sichert bei zunehmender Technisierung die Transparenz im Prozess. Methoden und Werkzeuge des Prozessmanagements können so zum Erreichen der strategischen Ziele angewandt werden und dienen als Grundlage für weitere Digitalisierungsvorhaben und Prozessverbesserungen.

Softwarekomponenten wie Process Engines ermöglichen dazu ein Business IT Alignement (fortlaufende gegenseitige Abstimmung von Geschäftsbereichen auf strategischer, taktischer und operativer Ebene) und stellen sicher, dass implementierte Lösungen sich an den marktdifferenzierenden Prozessen orientieren, und nicht umgekehrt. Außerdem ermöglichen sie schnellere Anpassungen, da Prozessänderungen reduzierte Implementierungsaufwände erzeugen und kritische Abhängigkeiten transparent werden. Auch unternehmensübergreifende Prozesse (im Sinne der Netzwerk-Ökonomie und Produktionsnetzwerke) können auf diese Art und Weise koordiniert und realisiert werden. Die digitale Fertigung oder „Industrie 4.0“ muss sich als Voraussetzung zunächst mit den wertschöpfenden Prozessen beschäftigen. Überlegungen zu Big Data Analytics, Internet of Things und andere Schlagworte können sich daran anschließen.

Björn Richerzhagen, Minautics

Minautics GmbH

Hallandstraße 20

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Ansprechpartner ist Björn Richerzhagen

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