30.03.19

Roboterarme aus Formgedächtnis-Legierungen

Sie schlängeln sich so präzise wie frei in jede Ecke und Richtung. Biegsame Roboterarme, wie sie Stefan Seelecke und seine Forschergruppe an der Universität des Saarlands entwickelt haben, kennen keine steifen Gelenke, dafür aber „Muskeln“ aus Metallen mit Formgedächtnis. Alles, was sie brauchen, ist Strom.

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Dominik Scholtes (li.) und Rouven Britz aus Seeleckes Team mit Prototypen der biegsamen Roboterarme. © Oliver Dietze

 
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Große Roboterarme sind ebenso machbar wie haarfeine Tentakel. Dreh- und Angelpunkt sind haarfeine Drähte aus Nickel-Titan, die anspannen und entspannen können. © Oliver Dietze

 

Der Beweglichkeit von Menschenarmen und Robotergeifern hat Grenzen durch Knochen, Gelenke oder Bauteile. Sie lassen nur bestimmte Richtungen zu. Elefantenrüssel oder Arme von Kraken sind gewandter. Zehntausende Muskeln schlängeln sie nach Bedarf in alle Richtungen, schlenkern oder verbiegen sie und packen kraftvoll zu. An ihnen haben sich Ingenieure der Universität des Saarlands orientiert: Sie entwickeln Roboterarme, die komplett ohne Gelenk und Bauteil-Skelett auskommen, aber so leicht wie verformbar und wendig sind.

In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt arbeiten Professor Stefan Seelecke und sein Team gemeinsam mit Forschern der TU Darmstadt an dünnen, präzise steuerbaren künstlichen Tentakeln. Sie sind mit einer versteifbaren Spitze für Stoßbewegungen oder einem Greifer ausgestattet. Im großen Stil funktioniert das ebenfalls. Auch große Roboter-Rüssel sind möglich. Die Technik ist hier skalierbar.

Dreh- und Angelpunkt sind Muskelstränge haarfeiner Drähte aus Nickel-Titan. Sie können an- und entspannen wie echte Muskeln, je nachdem ob elektrischer Strom fließt oder nicht. „Nickel-Titan hat ein Formgedächtnis. Wird ein Draht aus diesem Material verbogen, kann er seine ursprüngliche Form wieder annehmen. Fließt Strom durch, erwärmt er sich und seine Kristallstruktur wandelt sich so um, dass er sich verkürzt. Wird der Strom abgeschaltet, kühlt er ab und wird wieder lang“, sagt Seelecke. Sein Team bündelt die feinen Drähte wie Muskelfasern. „Mehrere Drähte geben durch die größere Oberfläche mehr Wärme ab. Dadurch erreichen wir schnelle Kontraktionen. Die Drähte haben die höchste Energiedichte aller bekannten Antriebsmechanismen. Auf kleinem Raum entwickeln sie hohe Zugkraft“, erläutert Seelecke, der mit seiner Arbeitsgruppe auch am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik forscht. Dort entwickeln sie verschiedenste Anwendungen für die Drähte: vom neuartigen Kühlsystem bis hin zu Ventilen und Pumpen.

Bei ihren Roboter-Armen verbinden die Ingenieure die Drahtstränge als Beuge- und Streck-Muskulatur. Das Zusammenspiel ergibt eine fließende Bewegung. „Bei dem Tentakel, die sich als Katheter oder Endoskop einsetzen lässt, kommen wir mit einem Durchmesser von 300 µm bis 400 µm aus. Auf diesem Raum lassen sich sonst keine anderen Antriebstechniken unterbringen“, sagt Paul Motzki, der über die Formgedächtnis-Drähte dissertiert hat und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Seeleckes Team ist. Die Tentakel ist präzise steuerbar und kann als Werkzeug mehrere Funktionen erfüllen, etwa mit ihrer Spitze stoßen. Die Forscher modellieren und programmieren hierzu Bewegungsmuster zur Steuerung auf einen Halbleiterchip. Das System kommt dabei völlig ohne Sensoren aus. Die Drähte liefern selbst die nötigen Daten. „Das Material der Drähte hat Sensoreigenschaften. Die Steuerungseinheit erkennt anhand der Messdaten des elektrischen Widerstandes zu jeder Zeit die genaue Position und Ausrichtung der Drähte“, erläutert Motzki.

Anders als Roboterarme, die angewiesen sind auf Elektromotoren, Druckluft oder Hydraulik, arbeiten die Saarbrücker Roboterarme unabhängig von schwerem Gerät. Alles, was sie brauchen, ist Strom. „Das macht sie anpassungsfähig, leise und leicht. In der Herstellung sind sie vergleichsweise günstig“, sagt Professor Seelecke.

Universität des Saarlands

Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme (IMSL)

Ansprechpartner ist Stefan Seelecke

Tel.: +49 681 302-0

stefan.seelecke@imsl.uni-saarland.de

www.imsl.uni-saarland.de

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